Millionengeschäft Piraterie "Die echten Piraten leben in London"
Wenn somalische Piraten Handelsschiffe gekapert haben, pokern sie um Lösegelder in Millionenhöhe. Doch nicht nur sie hoffen auf das große Geld. Mittelsmänner aus verschiedenen Ländern verdienen kräftig an der Piraterie mit.
Von Marc Engelhardt, ARD-Hörfunkstudio Nairobi
Wer in Somalia dieser Tage Geld machen will, für den gibt es eigentlich nur einen Karriereweg: den des Piraten. In Piratennestern wie Eyl in Puntland im Norden Somalias - schon seit Jahren ein Unterschlupf der Seeräuber - werden Villen gebaut, davor stehen teure Geländewagen. Rund um das Kerngeschäft hat sich eine rege Dienstleistungsindustrie entwickelt. Sobald die eigentlichen Piraten ein neues Schiff gekapert haben, läuft eine gut geölte Maschinerie an. Selbsternannte Vermittler gehören ebenso zur Piraten-Wirtschaft wie Köche, Boten und Wachen. Entlohnt werden die Helfer, sobald das Lösegeld fließt. Und das war bisher immer der Fall.
"Die Hintermänner leben außerhalb von Somalia"
Andrew Mwangura vom Seefahrer-Hilfsprogramm in Kenias größter Hafenstadt Mombasa beobachtet das Treiben der mit schweren Maschinengewehren und Panzerfäusten ausgerüsteten Piraten schon seit langem. Für ihn steht fest: In Dörfern wie Eyl leben nur die kleinen Lichter. Die echten Piraten lebten nicht in Somalia, sondern in Kenia, in London, in Dubai oder Kanada. Sie seien es, die die Operationen planen und finanzieren würden. "Kein junger Mann in Somalia kann sich ein Satellitentelefon leisten, ein Schnellboot oder auch nur eine Kalaschnikow. Die Hintermänner, die das große Geschäft machen, leben alle außerhalb von Somalia."
Groß ist das Geschäft zweifellos: Alleine für ein am Sonntag freigelassenes japanisches Schiff kassierten die Piraten zweieinhalb Millionen US-Dollar Lösegeld. Kein Wunder, dass für den Supertanker "Sirius Star" aus Saudi-Arabien schon 250 Millionen Dollar im Gespräch sind. Vor dem Hintergrund solcher Summen ist es ebenfalls nicht überraschend, dass die Lösegeld-Verhandlungen selber zum lukrativen Geschäftszweig geworden sind, an denen Mittelsmänner in London oder Dubai kräftig mitverdienen.
Alle verdienen mit
Mitverdienen würden auch die zahlreichen Fraktionen in Somalias seit 18 Jahren tobenden Bürgerkrieg, so Mwangura: Die Warlords und die Islamisten gleichermaßen wie die aktuell anerkannte Regierung. Er wisse von Amtsträgern aus dem nord-somalischen Puntland, dass sie an der Piraterie mitverdienten. Das gleiche gelte für die somalische Übergangsregierung in Mogadischu und selbst für das Ausland: "In Tansania gibt es in Regierungskreisen mindestens einen hochrangigen Ministeriellen, der den Piraten Informationen zu Schiffen zuspielt, die in Dar es Salaam ablegen."
Die Millionen aus den Lösegeldern haben zudem eine neue, dritte Kraft aufgebaut, deren politische Zugehörigkeit vorerst noch unklar ist. Doch fest steht: Mit ihrem Geld und den vermutlich modernsten Waffen am Horn von Afrika ist ihr Einfluss groß. Und mit jeder Entführung wächst er weiter.
50 Millionen Dollar Beute im letzten Jahr
Dass den Piraten mit dem Einsatz von Marineschiffen Herr zu werden ist, glaubt Mwangura nicht. Die Piraterie sei nur ein Teil der organisierten Kriminalität, die Somalia im Griff habe. "Die Piraterie wird nicht aufhören, solange vor den Küsten illegal gefischt wird, solange an Land mit Drogen gehandelt und Menschen geschleust werden. All diese Geschäfte sind mit der Piraterie vernetzt."
50 Millionen US-Dollar, so Schätzungen, haben die Piraten allein in diesem Jahr mit Lösegeldern verdient. Und der Geldsegen wird weitergehen: Derzeit befinden sich noch mindestens 17 Schiffe und fast 350 Matrosen in den Händen der somalischen Piraten.