Wahlkampf in Großbritannien Große Parteien werden extremer
In der Mitte wird es luftig: Großbritanniens Konservative und Labour-Parteien rücken weiter in ihre jeweiligen ideologischen Ecken. Immer mehr Abgeordnete machen das nicht mehr mit.
So hat es Nicholas Soames, der Enkel von Winston Churchill formuliert: "Was eine wundervoll umfassende, menschenfreundliche Gemeinde war, ist nun eine kleine Sekte geworden." Ein bitterer Kommentar von Soames über die Entwicklung der Konservativen Partei. Soames ist ein Urgestein dieser Partei, aber im September war ihm - wie 20 anderen Tory-Abgeordneten auch - die Parteimitgliedschaft entzogen worden, weil er gegen einen harten Brexit gekämpft hatte.
Caroline Nokes, die ebenfalls von der Strafmaßnahme betroffen war, hat sich ähnlich frustriert geäußert: "Auf einmal fühlt es sich so an, als seien die moderaten Leute nicht mehr willkommen“, meinte sie. Von den 21 Tories treten bei der vorgezogenen Unterhauswahl elf überhaupt nicht mehr an, zwei gehen für die Liberaldemokraten ins Rennen, drei wollen als Unabhängige versuchen, den Sprung ins Parlament zu schaffen. Unter ihnen sind auch der ehemalige Justizminister David Gauke und der frühere Generalanwalt Dominic Grieve. Amber Rudd, die bis vor wenigen Wochen noch Arbeitsministerin war, hat ihr Amt und ihre Parteimitgliedschaft aus Protest niedergelegt.
Mehr als 40 Konservative treten nicht mehr an
Und das sind nur einige der prominenten Köpfe. Insgesamt treten über 40 Politiker, die mal als Konservative ins Unterhaus gewählt worden sind, nicht mehr an. Es ist ein Aderlass, aber ein gewollter, glaubt Ex-Finanzminister Philip Hammond, der auch zu den Verstoßenen zählt:
Ich befürchte, die wahre Geschichte hier ist, dass die Leave-Aktivisten - die Gruppe, die die Kontrolle in Downing Street und zum Teil in der Zentrale der Konservativen Partei übernommen hat - die Neuwahl will, um die Zusammensetzung der konservativen Partei im Unterhaus zu verändern; um Abgeordnete loszuwerden, die sie für nicht robust genug hält und sie durch Hardliner zu ersetzen.
Tim Bale, Politikprofessor an der Queen Mary Universität in London und stellvertretender Direktor der Denkfabrik "UK in a Changing Europe", stimmt Hammond an diesem Punkt zu. Was den Brexit angeht, versuche die Partei, moderate Stimmen zu entfernen und rücke damit nach rechts. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte, erklärt Professor Bale:
Es sieht so aus, als ob die Konservative Partei mit ihrem Programm und ihren Kandidaten eine stärker nationalistische konservative Position bezogen hat. Auf der anderen Seite könnte man aber auch argumentieren, dass sie sich mit ihrer Wirtschafts-, Steuer- und Ausgabenpolitik nach links bewegt hat. Wahrscheinlich, weil sie versucht, der Labourpartei etwas entgegenzusetzen, die die Konservative Partei für ihre Sparpolitik der letzten zehn Jahre attackiert.
Labour unter Corbyn fundamental nach links gerückt
Für wesentlich eindeutiger hält Politikwissenschaftler Bale die Entwicklung bei Labour. Die Partei sei unter Jeremy Corbyn fundamental nach links gerückt. Auch bei Labour steigen Abgeordnete aus, wie etwa Gloria de Piero:
"Die letzten vier Jahre waren hart", sagt de Piero. Dabei sei es nicht nur um den Brexit gegangen, sondern um einen Bürgerkrieg innerhalb der Labour-Partei. Bei Labour wird in der Tat hart gekämpft: um die Haltung zum Brexit, die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und um die Frage, was gegen den Antisemitismus in den eigenen Reihen getan werden muss. In diesen Auseinandersetzungen war Tom Watson, der Vize-Chef der Partei, bisher eine wichtige Stimme: bei der Bekämpfung des Antisemitismus entschiedener als Jeremy Corbyn, ansonsten moderater. Aber Watson hört auf. Damit könnte Labour künftig noch weiter nach links rücken. In der Mitte des politischen Spektrums wird es langsam luftig.