Interview

Interview zum US-Abzug aus dem Irak Obama: Gescheitert oder erfolgreich?

Stand: 01.09.2010 05:14 Uhr

Barack Obama hat das Ende des Irak-Kampfeinsatzes in eine Ansprache an die Nation verkündet. Wird das seine Umfragewerte im eigenen Land verbessern? Und wie steht es eigentlich um das Ansehen des US-Präsidenten? tagesschau.de sprach darüber mit ARD-Korrespondent Klaus Scherer.

tagesschau.de: Herr Scherer, als Korrespondent beobachten Sie Barack Obama schon seit der Wahlnacht in Chicago. Damals waren die Demokraten im Siegestaumel. Jetzt zittern sie vor den Parlamentswahlen Anfang November. Und in Deutschland sehen manche Obama längst als gescheiterten Präsidenten. Was ist passiert?

Klaus Scherer: Richtig ist, dass die Demokraten nach einem sehr hohen Wahlsieg von ihren Mehrheiten wohl einiges einbüßen. Das ist nicht ungewöhnlich und neuen Präsidenten hier fast immer so ergangen, siehe Ronald Reagan, siehe Bill Clinton. Beide gelten in den USA bis heute als herausragend. Wie Obama nach vier Jahren beurteilt wird, entscheiden weder die Wahlen im Herbst noch die jetzigen Umfragen. Da wird zwar vieles dramatisiert, ich halte das aber für unangemessen.

Job und Einkommen wichtigste Themen

tagesschau.de: Aber Umfragen zeigen die Zustimmungswerte des Präsidenten im Rekord-Tief. Das sieht nicht eben nach erfolgreicher Arbeit aus. 

Scherer: Teils, teils. Die Menschen sind unzufrieden, weil sie um ihre Perspektive fürchten. Durch die Finanzkrise gingen hier acht Millionen Jobs verloren. Das schlägt sich in Umfragen nieder, weil Job und Einkommen mit Abstand, auch weit vor den Kriegen, die wichtigsten Themen in amerikanischen Familien sind. Wenn sich da bis 2012 nichts bessert, dürfte es Obama in der Tat die zweite Amtszeit kosten. Dann hätte die Krise nicht nur ihm mit zum Wahlsieg verholfen, sondern auch noch seinem Nachfolger…

tagesschau.de: …Also droht er doch zu scheitern?

Scherer: Das kommt darauf an, was man damit meint. Die meisten Fachleute bescheinigen Obama und dem Kongress im Gegenteil schon jetzt eine auffallend erfolgreiche Arbeit. Noch nie habe ein Präsident in nur anderthalb Jahren so viel angepackt und durchgesetzt, darunter wichtige Reformen. Vor der Gesundheitsreform-Abstimmung sagte er, wenn ihn dies die zweite Amtszeit koste, nehme er das in Kauf. Clinton ließ damals seine Reformpläne fallen, um wiedergewählt zu werden. Obama hätte man genau das vorgeworfen. Da muss man sich entscheiden, was Erfolg ist.

Der Weltretter als Mediengeschichte

tagesschau.de: Wie erklären Sie sich denn die wachsende Obama-Skepsis hierzulande?

Scherer: Dass manche in Deutschland Obama stetig scheitern sehen, scheint mir gelegentlich auch mit einer Ich-habs-ja-immer-schon-gewusst-Haltung zu tun zu haben. Schon als die Autokonzerne taumelten, hieß es, das kriegt er nicht hin. Das Gleiche vor der Gesundheits- und Finanzreform. Heute macht GM wieder Gewinne, und die Reformen sind Meilensteine. Dann las ich, er sei gescheitert, weil in Nahost kein Frieden herrsche, weil er nicht früher das Öl-Leck stopfte, weil ein US-Gericht die Stammzellenforschung einschränke, was auch immer. Ich bitte Sie. Obama als Weltretter war immer auch eine Mediengeschichte. Obama, der als solcher scheitert, ist seitdem das Pendant dazu. Sie können aber nicht jahrelang Bush vorwerfen, dass er sich benahm, als könne er die Welt alleine lenken, und dann Obama, dass er das nicht kann. Das ist eher altklug als weise.

tagesschau.de: Warum ist er dann nicht beliebter? Was macht er falsch?

Scherer: Wenn man die Umfragen ganz liest, werden sie differenzierter. Zwar bezweifeln viele, dass Obama die richtigen Rezepte gegen die Wirtschaftskrise hat. Drei Viertel der Befragten gestehen aber zu, dass es die womöglich gar nicht gibt, und bewerten Obama als Person nach wie vor wohlwollend. Zudem sind die Sympathiewerte für den Kongress, auch für die Republikaner dort, nicht besser. Eine andere Politik bieten sie ja auch nicht an. Was machte er falsch? Er konnte sicherlich nicht einlösen, das Land parteiübergreifend zu führen. Das lag aber weniger an ihm. Die Republikaner wurden damals derart für politisch tot erklärt, dass sie sich erst in die Trotz-Ecke begaben und ihn dann zum Hitler-Verschnitt machten. In ihren Strategiepapieren stand, ihre einzige Chance sei es, Angst zu schüren. Das ist gelungen. Zwanzig Prozent der Amerikaner geben noch immer an, Obama sei in Wahrheit Moslem. Wenn ich da lese, Obama spalte das Land, scheint mir das zu einfach. Ebenso gut könnte man von den Amerikanern enttäuscht sein, die ihren Ideologiekrieg nicht aufgeben wollen.

Teilnehmer der Demonstration gegen Präsident Obama in Washington.

Teilnehmer einer Demonstration gegen Präsident Obama in Washington.

Nicht rundweg positiv

tagesschau.de: Sie haben in Kommentaren, etwa zur umstrittenen Friedensnobelpreis-Verleihung, Obama mehrfach in Schutz genommen. Beurteilen Sie persönlich denn Obama rundweg positiv?

Scherer: Nein, keineswegs. Und auch in unseren Berichten bleiben Kritiker ja nicht außen vor. Die Drohnen-Attacken in Afghanistan und Pakistan, die selbst Militärberater der zivilen Opfer wegen für bedenklich halten, treibt Obama weiter als je zuvor. Die geheimen Tötungslisten der CIA sind völkerrechtlich zweifelhaft. Das hochmoralische Versprechen, Guantanamo zu schließen, scheint fast vergessen. Das alles macht Obama inzwischen teilweise unglaubwürdig. Aber man macht einen Fehler, wenn man glaubt, das sei hier wahlentscheidend. Guantanamo sieht hier allenfalls ein Häuflein Menschenrechtler als Problem. In Wirklichkeit ist es eher umgekehrt. Würde Obama noch mehr den Europäern folgen, etwa in der Klimapolitik, wäre er längst unten durch. Das geht allenfalls so, wie er es versucht, über grüne Jobs und Technologien, aus rein amerikanischem Wirtschafts-, sprich Eigeninteresse. In US-Thinktanks sagt man Ihnen, dieses Land werde noch einige Obamas nötig haben. Und noch viele Sarah Palins feiern.   

tagesschau.de: Betrachten wir Amerika zu sehr aus europäischer Sicht?

Scherer: Mitunter scheint mir das so. Stellen Sie sich vor, die Bohrinsel wäre nicht vor Louisiana, sondern vor Amrum explodiert. Die Deutschen wären für schärfere Gesetze und gegen die Öl-Multis auf die Straße gegangen. Hier gerät eher Obama unter Druck, weil er für ein paar der Bohrinseln sechs Monate Bohrstopp will. Und die Rechte macht mehr Stimmung gegen die sogenannte Klimalüge denn je. Die ganze Grundhaltung ist anders. Wir hörten auf einer Drehreise die Meldung, dass Washington krebserregende Frittierfette verbiete. Da sagte keiner: "Gut, dass uns die Regierung schützt." Da hieß es: "Bald verbieten sie uns noch das Essen."

Das gespaltene Land

tagesschau.de: Warum ist das Land so gespalten?

Scherer: Weil sich ein Teil davon schlicht anders definiert. Man wollte hier immer anders sein als Europa. Weniger Regierung, mehr Freiheit. Als Klischee lebt das in jedem Wahlkampf fort. Manchmal habe ich den Eindruck, die würden einander auch im Paradies noch hassen. In US-Radiosendungen gibt es für Anrufer zwei Nummern, eine für Demokraten und eine für Republikaner. Das heißt, noch bevor man etwas sagt, sortiert man sich schon selbst in eins der beiden Kästchen sein. Der  Fernsehmarkt lebt noch besser davon. Sie treffen im Lande die nettesten Leute, die Ihnen lächelnd sagen: "Wir schauen nur noch Fox-News, denn die mögen Obama auch nicht." Tatsächlich ist das Programm so hassbeladen, dass Sie sich als Journalist wünschen, der News-Begriff wäre geschützt. Aber der Sender verdient Geld damit. Sein Frontmann Glenn Beck, der Obama schon mal unterstellt, dass er zutiefst die Weißen hasse und den falschen Glauben hege, verlangte gerade auf einer Massenkundgebung die Wiederherstellung von Amerikas Ehre. Das ist Sarrazin hoch drei. Etwa so, als hätte der seinen eigenen sogenannten Nachrichtensender als Multiplikator. Und in halb Deutschland treue Fans.

tagesschau.de: Aber Obamas PR-Apparat kennt doch auch alle Register.

Scherer: Richtig. Aber es ist dann eben eine permanente PR-Schlacht, parallel zur Tagespolitik. Und es wird platt und platter. Inzwischen erklären uns Wahlforscher, Obama sei den Linken zu rechts und den Rechten zu links. In einem gespaltenen Land falle man da schon mal durch die Mitte. Aber sie versichern auch, dass sich das mit einer Trendwende am Arbeitsmarkt rasch ändern könne. Dann entdecken die Networks gewöhnlich eine neue Story, die sich, dank neuer Umfragen, dann ähnlich gut emotionalisieren lässt: Der Kritisierte als Comeback-Kid. Außer Fox-News natürlich.

Außenpolitik entscheidet selten Wahlen

tagesschau.de: Hilft den Demokraten der Truppenabzug im Irak?

Scherer: Er schadet nicht, zumal auch da ein gebrochenes Wahlversprechen drohte. Außenpolitik entscheidet aber selten Wahlen. Zudem bleiben die Amerikaner in Afghanistan im Krieg. Die schöne Botschaft, dass der Krieg aus und gewonnen sei, gibt es also nicht.  

tagesschau.de: Glauben Sie denn, Obama schafft eine zweite Amtszeit?

Scherer: Für Parteistrategen sind es Lichtjahre bis 2012. Die Wirtschaftslage dürfte für ihn entscheidend bleiben, egal wie die Kongressmehrheiten sind. Das Stimmungstief wegen der Jobkrise ist echt. Alles andere kommt aus PR-Küchen. Das heißt, es ist wandelbar. Die Amerikaner mögen derzeit klamm sein, aber die Wahlkampf-Kassen der Parteien sind randvoll.

Das Interview führte Klaus Scherer, NDR