Japans militärische Ziele Sturm im Sandkasten
Nach dem Präsidentenwechsel in den USA stellt sich Japan wieder auf ruhigere Töne im Bündnis ein. Zuletzt war die Atmosphäre ruppig geworden, während ein anderer Player die Muskeln spielen ließ.
Es ist ein schöner Badestrand in Japans Süden, auf dem sich selbst im kalten Februar schon Schülergruppen tummeln. Genauer gesagt: Fahrschüler. Dabei tragen sie Armee-Uniform und ihre Vehikel sind Amphibien-Kettenpanzer. Was sie üben, ist der Kriegseinsatz einer Armee, die es nicht gibt.
Zur seltenen Dreherlaubnis lud der der oberste Dienstherr vor einem Jahr sogar noch zum donnernden Exklusivinterview. Damals galt Verteidigungsminister Taro Kono noch als chancenreicher Aspirant für die Nachfolge von Langzeit-Premier Shinzo Abe. Aber der Reihe nach.
"In den Panzern sind die Rollen verteilt", sagt seinerzeit der Fahrschüler-Ausbilder, Unteroffizier Yuichiro Hamada. "Einer ist Fahrer, ein anderer Steuermann, das Ziel ist, aus ihnen vertraute Teams zu machen." Luken schließen, dann im Sandwirbel der Panzerketten rein ins Meer, abtauchen, wieder auftauchen und zurück zum Strand, auf die vereinbarte Markierung. So üben sie das Anlanden an fremden Ufern.
Nicht allen hier gefällt das. "Ich habe in der Bucht als Kind Muscheln gesammelt und war schwimmen, ich möchte nicht, dass wir hier Krieg spielen", sagt Anwohnerin Tae Nishijima, die mit einer Schar Aktivisten regelmäßig gegen die Übungen protestiert.
Kampf auch an der Inlandsfront
Mithin kämpfen Japans Soldaten auch stets an der Inlandfront. Denn laut pazifistischer Verfassung erlaubt sich Japan weder eine Armee noch Waffengänge. Eine Änderung des Artikels nahmen sich viele Regierungschefs vergeblich vor, zuletzt scheiterte auch Abe damit.
Wie fühlt sich das an, für eine Armee zu arbeiten, die keine ist? "Haben Sie bitte Verständnis dafür", gab damals Ausbilder Hamada lächelnd zurück, "dass ich darauf nicht antworten kann". Das lag nicht nur daran, dass die Frage nicht genehmigt war. Japan ist sehr gut darin, störende Details zu überhören. Man liebe hierzulande, heißt es dann, nun mal die Harmonie.
Die japanische Armee übt für den Ernstfall, aber die engen Beschränkungen für sie bleiben vorerst bestehen.
Offensive statt Harmonie?
Umso mehr fiel schon in jenem Februar auf, dass sich Verteidigungsminister Taro Kono genau daran nicht hielt. Zum Interview also: Angriffslustiger Blick, gelassene Gestik, fließendes Englisch, er studierte in den USA. Gerade hatte er vor laufenden Kameras einen Zerstörer in die Golfregion geschickt. Drängt Japan auf eine aktivere Rolle auf der militärischen Weltbühne?
"Wir schickten das Schiff nur dorthin, um Informationen zu sammeln, damit unsere Handelsschiffe sicher durchkommen", antwortet er. "Wir sind dort auch nicht etwa an der Seite der USA, sondern allein auf eigene Initiative." Dass Japan so riskiert, in einen militärischen Konflikt zu geraten, lässt er nicht gelten. "Warum sollte das passieren?", fragt er und gibt sich ungerührt.
Einst für Japans Verteidigung zuständnig, nun für den Covid-19-Impfstoff: Taro Kono
Und noch ein Sprengsatz
Wenn wirklich alles so friedlich ist, warum schickt er dann ein Kriegsschiff? "Wir brauchen nun mal sichere Schiffsrouten, deshalb sammeln wir Informationen, was ist daran falsch?" Damit hätte Kono enden können. Doch weil es im Verhältnis zu den USA da bereits knisterte, zündete er gleich noch einen verbalen Sprengsatz.
Denn US-Präsident Donald Trump hatte die Bündnispartner Japan und Südkorea zuletzt nicht nur mit der Ankündigung überrascht, künftig gemeinsame Militärübungen zu streichen, um seinem Land Geld zu sparen. Auch forderten seine Emissäre plötzlich ein Vielfaches der bisherigen Kosten für die in Asien stationierten US-Truppen.
"In Wahrheit kommt es die USA doch billiger, die Soldaten hier zu haben als in Kalifornien", feuerte Kono, ganz und gar unjapanisch, nun zurück. "Würden wir mehr bezahlen, wären die US-Truppen ja so etwas wie bezahlte Söldner. Ich denke nicht, dass sie das sein wollen."
Schwierige Beziehung: US-Präsident Trump und Japans Ministerpräsident Abe bei einem Besuch auf dem japanischen Hubschrauberträger DDH-184 Kaga im Mai 2019
In die hintere Reihe degradiert
Seither ist Konos Stern als Verteidigungsminister zwar gesunken, doch am Kabinettstisch sitzt er immer noch, nun mit zivileren Aufgaben. Der Pulverdampf war offenbar vielen nicht geheuer. Auch sein Plan, in Japan eigene Raketenabwehrbasen vorzuhalten, platzte.
Auf den erkrankten Premier Abe folgte der Senior Yoshihide Suga, der im Vergleich zu Kono eher blass wirkt. Und wenn er in Washington anruft, nimmt dort auch nicht mehr Trump ab. Über beides scheint man in Tokio wie in Washington erleichtert.
Streit um die Senkaku-Inseln
Allerdings eint das Bündnis inzwischen auch ein neuer Gegner: Statt auf Nordkoreas Kurzstreckenraketen, an die Japan beharrlich als Gefahr für die Region erinnerte, richtet sich der Blick der Partner nun weiter nach Süden, auf Chinas Muskelspiele im Pazifik. Gerade hat Peking ein Gesetz beschlossen, das sich liest, als beanspruche es nicht nur der Form halber etwa Japans unbewohnte Senkaku-Außeninseln. Vielmehr legt es Chinas Küstenwache in solchen Streitzonen nun auch den Waffengebrauch nahe.
"Der neue US-Präsident Joe Biden hat mir gegenüber bekräftigt, dass Washington zum Sicherheitsabkommen mit Japan steht", beeilte sich Suga denn auch nach ihrem Ersttelefonat mitzuteilen. Das gelte ausdrücklich auch für die Senkaku-Inseln.
Japan, China und Taiwan erheben Anspruch auf die Inselgruppe, die sie - je nach Land - Senkaku, Diaoyu oder Diaoyutai nennen.
Die Aufgabe der Armee bleibt unverändert
Was heißt das nun für Unteroffizier Hamadas Schwimmpanzer-Batallion? Sollen die nun auch zur Waffe greifen? Eher nicht, sagt Yoshiko Kojo von der Tokioter Aoyama Gakuin Universität. "Japan musste nur klären, wie sich das Bündnis verhält." Japans Schutz- und Ordnungsmacht bleiben demnach allein die USA. Und Hamada die Sandkastenspiele.
"Es gibt in Japans Regierungspartei zwar auch weiterhin Leute, die ihrem Land mehr militärisches Eigengewicht wünschen", bilanziert auch Außenpolitik-Experte Glen Fukushima. "Aber ich sehe gegenwärtig nicht, dass die japanische Bevölkerung das unterstützt."
Japans Streitkräfte, de facto eine der teuersten Armeen der Welt, kreuzen wohl weiterhin nur im juristischen Niemandsland. Immerhin aber: Japans Presse meldet mit Verweis auf Regierungsquellen, dass die Kosten für die US-Truppen im Lande nun doch annähernd gleich bleiben.
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