Neuausrichtung der US-Außenpolitik? Mehr Diplomatie, weniger Militär
In Israel wird gewählt, ein Sieg von Premier Netanjahu scheint sicher. Das dürfte die Nahost-Politik der USA nicht leichter machen. Deren frisch vereidigter Präsident Barack Obama muss zügig die internationalen Krisen angehen. Dabei wird die Diplomatie - und nicht das Militär - die größere Rolle spielen, sagt der ehemalige US-Botschafter John Kornblum im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: In seiner Antrittsrede hat Obama die Außenpolitik nur mit wenigen Worten gestreift - bereits heute steht aber die erste politische Herausforderung an: Israel wählt. Es sieht danach aus, dass Regierungschef Netanjahu weiterregieren kann, womöglich mit einer noch stärker nationalistisch, religiös und siedlerfreundlich ausgerichteten Koalition. Ist das ein Problem für Obama?
John Kornblum: Netanjahu ist ein sehr schwieriger Partner. Er hat sich bei einem seiner letzten Besuche in Washington sehr unhöflich gegenüber Obama verhalten. Netanjahu wird ein großes Problem für Obama bleiben. Er hat Unterstützung bei einigen Republikanern und einigen Einfluss in der amerikanischen Öffentlichkeit.
Dass Obama nur wenig auf die Außenpolitik eingegangen ist, liegt vor allem an der Funktion der Inauguration: Sie dient alle vier Jahre als Bekenntnis zur amerikanischen Demokratie - über alle parteipolitischen Grenzen hinweg. Konkretes ist dabei selten zu hören. Aber dieses Mal hat Obama immerhin klargestellt, dass es eine straffere Führung geben wird.
tagesschau.de: In Israel ist die Furcht vor einer Atombombe in den Händen der iranischen Führung groß...
Kornblum: Ich glaube nicht, dass die Israelis einen Militäreinsatz wollen, auch wenn Netanjahu mit den Säbel gerasselt hat. Es schadet nicht zu zeigen, wie "tough" er ist. Aber sein eigener Geheimdienstchef hat vor Monaten gesagt, dass die Iraner es im Moment nicht schaffen, eine Atomrakete zu bauen. Es ist ungewöhnlich, dass ein Geheimdienstchef dem Ministerpräsidenten so klar widerspricht. Es gibt viele im israelischen Establishment, die nicht auf Netanjahus Seite stehen. Andererseits glaubt Netanjahu die Freiheit zu haben, über einen möglichen Militäreinsatz zu sprechen.
tagesschau.de: Ist es möglich, den Iran zum Einlenken zu bewegen?
Kornblum: Der Iran hat sich in den letzten drei, vier Monaten nicht eindeutig verhalten. Einerseits droht er, dann zeigt er sich wieder zu Zugeständnissen bereit und lässt Inspektoren ins Land. Ich glaube, die Iraner wissen selber nicht, wie sie eine klare Linie einhalten können, denn wirtschaftlich geht es ihnen sehr schlecht. Dies zeigt, dass die Sanktionen gegen den Iran Wirkung zeigen.
tagesschau.de: Abseits vom Dauerkrisenherd Nahost: Kann man schon absehen, wie Obamas Regierung Außenpolitik gestalten wird?
Kornblum: Obama hat während seiner ersten Amtszeit keine ausreichende außenpolitische Strategie entwickelt. Das kann man ihm vielleicht nicht verdenken, weil er auf zahlreiche Krisen reagieren musste. Jetzt aber ist zum Beispiel noch die Krise in Nordafrika hinzugekommen und mit Ägypten steht es auch nicht zum Besten. Obama wird sehr schnell eine Strategie entwickeln müssen, angesichts der vielen Krisenherde wird es wohl eher ein Krisenmanagement. Und wir dürfen nicht vergessen, dass er eine fast komplett neue außenpolitische Mannschaft hat mit neuen Ministern für Verteidigung und Außenpolitik und mit einem neuen CIA-Chef. Die Leute, die er da ausgewählt hat, haben grob gesagt zwei Eigenschaften: Sie sind sehr loyal, und man könnte sie in ihrer Haltung als gegen die Politik des vorherigen US-Präsidenten Bush ausgerichtet einschätzen. Sie sind gegen militärisches Eingreifen und Krieg und sie arbeiten eher auf der traditionellen diplomatischen Schiene.
tagesschau.de: Mit Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien wurde ein solches militärisches Eingreifen in der Vergangenheit stets ausgeschlossen. Es gibt aber ja durchaus Befürchtungen, dass die syrische Führung um Baschar al Assad doch noch chemische Waffen einsetzen könnte. Das ist die rote Linie, die Obama für eine Intervention in Syrien gesetzt hat. Gibt es denn in den USA die Bereitschaft für einen solchen Einsatz?
Kornblum: Nein, es gibt keine Bereitschaft dafür. Aber als es die leiseste Andeutung gab, dass Assad chemische Waffen eingesetzt haben könnte, wurde eine Krisensitzung einberufen, an der auch Russland und China beteiligt waren. Die Botschaft auch dieser Länder, die Syrien nicht so konfrontativ gegenüber stehen, war sehr klar, dass der Einsatz chemischer Waffen zu weit gehen würde.
Keine strategischen Antworten auf weltumspannende Veränderungen
tagesschau.de: Könnte es sein, dass sich die USA angesichts des beginnenden Ölbooms im eigenen Land weitgehend aus dem Nahen und Mittleren Osten zurückziehen und die Länder dort ihrem eigenen Schicksal überlassen?
Kornblum: Man muss bedenken, dass die Erschließung der Ölquellen in Amerika eine längerfristige Entwicklung ist. Auch Europa wird unabhängiger, weil es auf andere Quellen zurückgreifen kann. Aber das Öl im Nahen und Mittlere Osten wird wichtig bleiben, auch für Japan und China. Auf internationaler Ebene finden gewaltige Veränderungen statt. Sie werden vorangetrieben durch neue Ölförderer, die Vernetzung der Welt und neue Handelswege. Aber im Moment gibt es keine politische und strategische Antwort darauf. Die Neuausrichtung findet derzeit ohne politische Flankierung statt.
US-Engagement in Asien schützt auch europäische Investitionen
tagesschau.de: Wird die US-Regierung den außenpolitischen Fokus noch stärker auf den asiatisch-pazifischen Raum ausrichten?
Kornblum: Die Spannungen zwischen China und Japan sind ein weiterer Krisenherd, auf den man achten muss. Andererseits wird in Europa viel geschrieben, dass sich die Vereinigten Staaten stärker nach Asien orientieren. Doch es ist nicht so, dass wir Asien auf einmal entdeckt hätten. Amerika hat sich immer schon auch nach Asien ausgerichtet. Wir haben mehrere Zehntausend Soldaten dort stationiert. Das zeigt, dass die Vereinigten Staaten bereit sind, dort eine gewisse Balance zwischen den Mächten zu halten. Das ist eine Botschaft an die kleineren asiatischen Staaten. Und es ist auch für Europa von Bedeutung, weil es dort sehr viel investiert.
USA und Europa fehlt gemeinsame Strategie
tagesschau.de: Obama war bisher nicht in Berlin. Könnte der US-Präsident sein Augenmerk in der neuen Amtszeit auch auf Europa richten?
Kornblum: Das Verhältnis zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ist im Moment nicht im besten Zustand. Das liegt am europäischen Umgang mit dem Euro und an der Sicherheitspolitik Europas. Die Agenda in Bezug auf Europa ist deshalb leider auch eher eine Bewältigung von Krisen und weniger eine gemeinsame Strategie. Es fehlt auf beiden Seiten eine strategische Haltung zum anderen. Bei Krisen wird immer erwartet, dass die Vereinigten Staaten eingreifen. Frankreich und Großbritannien handeln, aber Deutschland belässt es bei Unterstützungserklärungen. Auf lange Sicht werden sich die Grundsätze der Geopolitik ändern. Ich denke, dass es die USA und Europa enger zusammenbinden wird, weil man eher gemeinsame Probleme zu bewältigen haben wird.
Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de