Müller besucht Rohingya-Lager Wo Elend und Hoffnung wohnen
Ein Besuch bei den Rohingya im weltgrößten Flüchtlingslager in Bangladesch machte Entwicklungsminister Müller fassungslos. Deutschland stellt nun die Entwicklungszusammenarbeit mit Myanmar ein. Müller verlangt gar Sanktionen.
Der Muezzin ruft. Von Weitem. Über die Hüttendächer aus Plastiktüten und Bambusholz tönt der Ruf hier in Kutupalong, dem größten Flüchtlingslager der Welt. Da, wo Hoffnung und Elend wohnen. Es stinkt nach Fäkalien. Ein schwarzes Rinnsal mäandert die Hütten entlang, Mittendrin ein fassungsloser deutscher Entwicklungsminister:
Das ist unglaublich. Das ist doch unglaublich, was durch diese Kloake läuft.
Abwasser. Keine Kanalisation. Drumherum spielende Kinder. Gerd Müller wollte hier in Bangladesch, an der Grenze zu Myanmar, mit eigenen Augen sehen, was den Rohingya widerfährt. 854.000 Menschen leben hier derzeit in Bambushütten. In Myanmar, das die muslimische Minderheit 2017 verfolgt, wurden sie vergewaltigt, vertrieben. Bangladesch nahm sie auf, aber will sie jetzt nicht mehr. Müllers Grundsatz als Minister, sagt er: "Dahin gehen, wo es weh tut."
Hier tut es weh. Wenn man das sieht. Den Dreck. Den Schlamm. Keinen Kanal. Die Ausweglosigkeit, die erst in der Regenzeit so richtig zum Tragen kommt.
"Das ist eine ethnische Säuberung"
Der Monsun kommt, das Elend ist längst da. Bangladesch verbietet feste Häuser, will nicht, dass hier aus Übergang Dauer wird. In den Verschlägen lebt keine Flüchtlingsfamilie ohne Tote in Myanmar. Jede zweite Frau wurde vergewaltigt. Die Soldaten warfen damals, 2017, Babys in brennende Hütten. Die Rohingyas flohen. Viele Frauen sind traumatisiert. Bis heute.
Das hier, das sind die Schicksalsfrauen.
So nennt es Müller, still. Er sitzt mit ihnen später in einer Hütte zusammen, hört ihre Geschichte, trifft Familien, macht sich ein eigenes Bild. Ein Minister gerät in Wut über die Ohnmacht im Angesicht dessen, was er hier in jeder Hütte sehen und hören kann:
Das ist fürchterlich. Deshalb bin ich hier, weil ich die Aufmerksamkeit auf diese vergessene Flüchtlingskatastrophe lenken will. Die darf nicht vergessen werden. Das ist eine ethnische Säuberung, die in Myanmar stattgefunden hat. Die Weltgemeinschaft weiß das und schreitet nicht ein.
Müller mit Rohingya-Kindern im Flüchtlingslager Kutupalong.
Entwicklungshilfe wird ausgesetzt
Der Minister, zwei Stunden ist er hier. Nur zwei Stunden. Aber es sind die Kinder, die ihn am meisten umtreiben. Das hier, sagt er, vergisst man nie. Müller betritt eine Schulhütte. Learning Center heißt das im UN-Sprech. 2500 haben sie im gesamten Lager. Für 600.000 Kinder. Alles zu wenig. Jetzt, sagt Dr. Michael Hossu vom Deutschen Roten Kreuz, baut Bangladesch auch noch einen riesigen Zaun um das Lager. Die Stimmung?
Ich würde es als recht verzweifelt beschreiben. Am Eingang zum Lager hat man ja sehen können, dass derzeit Grenzzäune gezogen werden.
2017 hat Myanmar die Rohingyas ermordet oder vertrieben. Es war eine ethnische Säuberung. Jetzt werden sie wieder Opfer. Müller verspricht 15 Millionen Euro zusätzlich und später, zurück in seinem Flugzeug, zieht er wutbebend Konsequenzen: Keinen Cent mehr für Myanmar, bis es die Flüchtlinge mit Sicherheitsgarantien zurückholt:
Wir setzen die Entwicklungszusammenarbeit aus. Das muss auch in Myanmar als klares Zeichen verstanden werden. Dass die Weltgemeinschaft nicht akzeptiert, was an ethnischer Säuberung abgelaufen ist und wir nicht zur Tagesordnung übergehen.
Kinder geben Kraft
Die Tagesordnung hier in Kutupalong: Überleben. Hamadi ist 30. Sechs Kinder hat sie, sie ist damals geflohen. Aber sie will trotzdem zurück. Myanmar ist ihre Heimat, sagt sie. Annika, die UN-Mitarbeiterin, sie unterrichtet die Kinder, kennt die Eltern. Einer der Väter bricht in Tränen aus.
Er habe sich daran erinnert, wen er damals zurücklassen musste, sagt Annika. Minister Müller winkt den Kindern zum Abschied. 100.000 von ihnen sind hier im Lager geboren. Aber ausgerechnet ihre unschuldige Zuversicht macht Mut, sagt Müller, hier, wo Elend und Hoffnung in Kutupalong Zuhause sind:
Man kommt hierher und sieht die brutale Situation, und dann trifft man zwanzig Kinder, sieht die Hoffnung in ihren Augen - und das gibt einem selber ja dann auch die Kraft.