Deutsche IS-Anhängerinnen "Man wird sie lange verhören"
Wie geht es nach der Festnahme der fünf mutmaßlichen IS-Anhängerinnen aus Deutschland weiter? Werden sie ausgeliefert? Terrorismusexperte Yan St. Pierre gibt im Interview mit tagesschau.de Antworten auf die wichtigsten Fragen.
tagesschau.de: Wie reagiert die Bundesregierung auf die Festnahme von deutschen Mädchen im Irak?
Yan St. Pierre: Jetzt ist vor allem das Auswärtige Amt als Vermittler gefragt. Die Beamten stehen mit den Ansprechpartnern im Irak in Kontakt, etwa mit Vertretern der irakischen Regierung, der irakischen Armee und den Sicherheitschefs. Eine besondere Rolle spielt auch die deutsche Botschaft in Bagdad, die den Fall vor Ort übernehmen wird. Aber auch die Staatsanwaltschaft Dresden ist involviert. Für die deutsche Seite geht es um mehrere Punkte: Wie geht es den Mädchen? Welche Identität haben sie? Wann können sie nach Deutschland geholt werden?
Die Frage nach der Identität ist deswegen so schwierig, weil die Terrormiliz IS die Reisepässe der aus dem Ausland stammenden IS-Kämpfer und ihrer Anhänger in der Regel zerstört. Eine zweifelsfreie Identifizierung wird also über eine DNA-Analyse erfolgen.
tagesschau.de: Was passiert jetzt vor Ort?
St. Pierre: Die Mädchen wurden von der irakischen Armee in Mossul festgenommen. Man kann davon ausgehen, dass sie vom irakischen Nachrichtendienst verhört werden, der alle denkbaren Informationen über die IS-Terrormiliz und ihre Unterstützer in Erfahrung bringen möchte. In der Regel werden europäische "Foreign Fighters", also Kämpfer aus dem Ausland, etwas besser behandelt als andere. Der Irak hat spezielle Sicherheitsbehörden, die für Gefängnisse zuständig sind, in denen IS-Kämpfer oder -Sympathisanten festgehalten werden. Sollte sich durch die Identitätsprüfung herausstellen, dass die Mädchen tatsächlich deutsche Staatsangehörige sind, dann werden sie von deutscher Seite aus eine juristische Vertretung bekommen.
tagesschau.de: Wie lange dauert es, bis die Mädchen an Deutschland übergeben werden?
St. Pierre: Die Verhandlungen können mehrere Tage bis wenige Monate dauern. Sie sind auch abhängig davon, wie lange die Verhöre der irakischen Sicherheitsbehörden andauern. Sollte es sich bestätigen, dass die Mädchen Deutsche sind, werden sie an Vertreter der deutschen Botschaft übergeben. Bis es dann aber zur Rückkehr nach Deutschland kommt, müssen die Mädchen erst einmal "sicherheitsüberprüft" werden. In diesem Zusammenhang wird auch eine Beurteilung ihres psychischen Zustandes vorgenommen: Wie stark sind die Mädchen radikalisiert oder traumatisiert? Die Frage wird also sein: Wie gefährlich sind sie möglicherweise für Deutschland? Dazu wird über das Auswärtige Amt und mit Hilfe von deutschen Sicherheits-Experten im Irak eine Evaluierung vorgenommen. Möglicherweise wird Deutschland dafür auch extra Personal in den Irak schicken. Bis zur Rückkehr können also noch einmal Wochen vergehen.
tagesschau.de: Wird der Irak im Gegenzug für die Auslieferung an Deutschland Ansprüche stellen?
St. Pierre: Das ist unwahrscheinlich. Die irakische Regierung hat ein Interesse daran, "Foreign Fighters" loszuwerden.
tagesschau.de: Wie geht es nach der Rückkehr weiter?
St. Pierre: Falls es sich um deutsche Staatsbürger handelt, die im Irak an deutsche Vertreter übergeben werden, werden die Mädchen vor Ort festgenommen und nach Deutschland gebracht, wo ihnen Untersuchungshaft und ein Gerichtsverfahren drohen.
Das Interview führte Michael Stempfle, SWR, ARD-Hauptstadtstudio.