Russland wirbt für Einreise in die EU Mit dem Fahrrad nach Finnland
Sie haben Fahrräder, aber keine gültigen Papiere: Immer mehr Migranten reisen - offenbar von Russland unterstützt - in den EU-Staat Finnland ein. Die Regierung in Helsinki schließt deshalb nun Grenzübergänge - und Russland übt Kritik.
Zahlreiche Migranten reisen derzeit über Russland nach Finnland, um dort Asyl zu beantragen. Die erforderlichen Einreisepapiere haben sie nicht dabei, dafür aber meist Fahrräder. Ihre Zahl hat nach finnischen Angaben in jüngster Zeit stark zugenommen. Der finnische Grenzschutz registrierte allein am Mittwoch in Südostfinnland 75 Asylbewerber. Das waren mehr als in der gesamten Vorwoche.
Als Reaktion will Finnland vier Grenzübergänge nach Russland schließen. Das Land betrachtet das als eine Art Notwehr. Die finnische Regierung wirft Russland vor, anders als früher üblich, Menschen trotz fehlender Dokumente nach Finnland reisen zu lassen. Ministerpräsident Petteri Orpo kritisierte, russische Grenzschützer hätten die Leute sogar bis an die Grenze gebracht.
Offenbar russische Armeefahrzeuge beteiligt
Finnlands Präsident Sauli Niinistö sagte, er habe schon früher darauf hingewiesen, dass sein Land wegen seines NATO-Beitritts mit sogenannten Bosheiten Russlands rechnen müsse. Asylbewerber bestätigten die Vorwürfe der finnischen Regierung. Die russische Polizei habe ihn gefragt, ob er nach Finnland wolle und angeboten, ihm zu helfen, sagte ein Asylbewerber der finnischen Nachrichtenagentur STT. Er habe sich erst nicht getraut, die Wahrheit zu sagen.
"Wir hatten Angst", berichtete der Mann, der nur seinen Vornamen Can nannte. Er sei aus der Türkei mit einem Freund nach St. Petersburg geflogen, weil ein Visum dafür schnell zu bekommen sei. Ein russisches Armeefahrzeug habe ihn zu einer Art Polizeistation zwischen Wyborg und der finnischen Grenze gebracht. Dort habe man ihn angewiesen, ein Taxi zu nehmen.
Migranten mussten Fahrräder kaufen
Can sagte, das sei aber kein gewöhnliches Taxi gewesen, sondern eines, dass auch Fahrräder transportiert habe. Die Räder hätten sie dann kaufen müssen. Der Chauffeur habe sie bis kurz vor die Grenze gebracht und ihnen hinterhergebrüllt: "Ihr werdet erwartet." Offenbar habe der Fahrer eine Absprache mit den Behörden gehabt, vermutete Can.
Im Aufnahmezentrum Joutseno berichteten vier Asylbewerber aus dem Irak der Zeitung "Helsingin Sanomat", sie hätten 100 bis 400 Dollar für ein Fahrrad bezahlen müssen, je nachdem wie viel Geld sie dabei hatten. Die Räder seien am Straßenrand von einem Anhänger verkauft worden. Fünf Menschen aus Somalia sagten der Zeitung am Grenzübergang Nuijamaa: "Die russischen Grenzbehörden erlauben es nicht, zu Fuß zu gehen, man muss ein Fahrrad haben."
Werbung für sichere Reisen ins EU-Mitgliedsland
Die Situation an der finnisch-russischen Grenze hat sich auch in sozialen Medien herumgesprochen. Der öffentlich-rechtliche Sender YLE und "Helsingin Sanomat" berichten, bei Facebook und TikTok werde auf Arabisch für sichere Reisen über Russland ins EU-Mitgliedsland Finnland geworben. "Russland hat die Ostgrenze Finnlands für die Einwanderung geöffnet. Jeder sollte seinen Freunden sagen, dass diese Route einen Versuch wert ist", hieß es in einem Video, das auf TikTok zusammen mit einer Karte der finnisch-russischen Grenzübergänge veröffentlicht wurde.
Die finnische Regierung will dem einen Riegel vorschieben und hat angekündigt, die verkehrsgünstig in der Nähe der russischen Metropole St. Petersburg gelegenen Grenzübergänge Nuijamaa, Imatra, Niirala und Vaalimaa ab Samstag um Mitternacht für drei Monate zu schließen. Asylanträge würden an den Hunderte Kilometer weiter nördlich gelegenen Grenzstationen Salla und Vartius angenommen.
Russland: "Ausdruck der neuen Trennlinien"
Russland kritisierte den Schritt. Er sei "Ausdruck der neuen Trennlinien in Europa, die keine Fragen lösen, sondern - im Gegenteil - nur neue problematische Fragen schaffen", sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa der russischen Tageszeitung "Iswestija".
Am Donnerstag berichtete auch Estland von Migranten an der russischen Grenze ohne gültige Papiere. Innenminister Lauri Läänemets sagte, die acht Somalier seien zurückgeschickt worden. Er sprach von einem "hybriden Angriff". Nach Angaben der Kontrollstelle in Narva gab es in der Nacht zu Freitag keine neuen Einreiseversuche. Läänemets betonte im Fernsehen, Estland sei auf alles vorbereitet und bei Bedarf auch bereit, Grenzpunkte zu schließen.
Problem verlagert sich offenbar
In Finnland meldete der Grenzschutz kurz nach Bekanntgabe der Grenzschließung, am weit im Norden gelegenen Grenzübergang Vartius seien 18 Menschen ohne die notwendigen Papiere eingetroffen, die nach ersten Informationen aus dem Jemen, Syrien und Somalia stammen. Sie seien die ersten gewesen, die 2023 in dieser Gegend einen Asylantrag gestellt hätten.