Streitereien überschatten Vorbereitung des EU-Gipfels Droht in Brüssel eine Hängepartie?
Der EU-Gipfel könnte ein Treffen des Missvergnügens werden. Polen lehnt die vereinbarte EU-Stimmenverteilung weiter ab und Großbritannien möchte offenbar den geplanten EU-Außenminister schwächen, weshalb Spanien die Einführung eines EU-Präsidenten blockiert könnte. Luxemburg drohte deshalb sein Veto an.
Der morgige Gipfel der EU in Brüssel droht von zahlreichen Streitereien über Teile der EU-Reform überlagert zu werden. Während Polen sich weiter gegen die Reform der Stimmverteilung wehrt, streiten sich Großbritannien und Spanien nach Zeitungsberichten über den künftigen EU-Präsidenten und -Außenminister. Die deutsche Ratspräsidentschaft rechnet deshalb offenbar nicht mehr mit nachhaltigen Beschlüssen.
In der Debatte über eine Neugewichtung der Stimmen im EU-Rat signalisierte Polen zwar Kompromissbereitschaft. Man wolle eine Reform nicht blockieren, sagte Premierminister Jaroslaw Kaczynski im polnischen Fernsehen. Zunächst gehe es seiner Regierung darum, über die Stimmverhältnisse zu diskutieren. Er fügte aber hinzu, es gebe Versuche, Polen zu isolieren - "nämlich durch Deutschland". Entscheidend sei für ihn "das Abstimmungssystem und damit die Lage Polens und der Polen". Wie ARD-Hörfunkkorrespondent Thomas Rautenberg berichtet, halten Beobachter in Warschau dies lediglich für eine diplomatische Umformulierung der alten Veto-Drohung.
Auch die Bundesregierung erkennt nach übereinstimmenden Agenturmeldungen darin keine Bewegung der polnischen Seite. Ein Scheitern des Gipfels werde daher nicht ausgeschlossen. Dann müsse nach dem Gipfel weiter nach einer Lösung gesucht werden, wann immer diese auch kommen möge.
Dem Vorsitzenden der EU-Kommission, José Manuel Barroso, gelang es in einem einstündigen Telefonat ebenfalls nicht, Polen von der Forderung nach neuen Verhandlungen über die Stimmengewichtung in der EU abzubringen.
Weitere Streitpunkte schälen sich heraus
Die künftige Stimmengewichtung ist indes nicht der einzige Streitpunkt unter den Mitgliedstaaten. Nach Presseberichten will Großbritannien die Kompetenzen des künftigen EU-Außenministers beschneiden. Der scheidende britische Premierminister Tony Blair habe seinem designierten Nachfolger Gordon Brown fest versprochen, keine britischen Kompetenzen an den künftigen EU-Außenminister abzutreten.
Mit dem Reformvertrag wird ein neues Abstimmungsverfahren im EU-Ministerrat, der Vertretung der Mitgliedsstaaten, eingeführt - und damit ein Kernpunkt der von Frankreich und den Niederlanden abgelehnten EU-Verfassung aufgenommen.
Für Beschlüsse soll eine "doppelte Mehrheit" nötig sein: Die Stimmen von mindestens 55 Prozent der Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Ziel ist, einen Ausgleich zwischen bevölkerungsreichen Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien und den kleinen wie Dänemark, Irland oder Malta zu schaffen. Das mittelgroße Polen hatte dem Vertragsentwurf ursprünglich zwar zugestimmt, sah sich danach jedoch benachteiligt. Polen verlangte zwischenzeitlich eine "Quadratwurzel"-Regelung. Dabei wird das Stimmrecht eines Landes ermittelt, indem die Wurzel aus seiner Bevölkerungszahl gezogen wird.
Die 27 EU-Länder einigten sich beim Gipfel nach langen Verhandlungen darauf, das Abstimmungsverfahren der doppelten Mehrheit ab 2014 mit einer Übergangzeit bis 2017 einzuführen.
Wie die Zeitung "El País" meldet, hat dies Spanien auf den Plan gerufen, das mit Javier Solana den Außenbeauftragten der EU stellt. Dieser gilt als Favorit für den Posten des Außenministers. Madrid drohe damit, die Einführung eines ständigen EU-Präsidenten zu blockieren. Für dieses Amt hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy Blair vorgeschlagen. "Einen neuen Vertrag um jeden Preis wird Madrid nicht akzeptieren", zitierte die Zeitung "El País" einen spanischen Diplomaten. Spanien werde in dieser Frage unter anderem von Portugal, Luxemburg, Belgien, Italien und Ungarn sowie von EU- Kommissionspräsident José Manuel Barroso unterstützt, hieß es weiter.
Luxemburg will "Substanzschwindsucht" nicht hinnehmen
Der luxemburgische Regierungschef Jean Claude Juncker drohte angesichts des Streits mit einer Ablehnung des EU-Vertrags, falls der neue Vertrag in wesentlichen Punkten vom alten Verfassungstext abweichen sollte. Wenn er den Eindruck habe, dass die Fortschritte im Verfassungsvertrag, aufgrund derer die luxemburgische Bevölkerung mit Ja gestimmt habe, gefährdet seien, werde er "Nein sagen müssen", sagte Juncker der Zeitung "Die Welt". Ihn störe sehr, dass die Ansichten derer, die die Verfassung nicht ratifiziert hätten, mehr Aufmerksamkeit fänden als der Standpunkt derer, deren Ratifizierung vorliege, fügte Juncker hinzu. Luxemburg und viele andere Staaten würden "einer Substanzschwindsucht der Verfassung nicht tatenlos zusehen".
Schlampige Vorbereitung?
Großbritannien und die Niederlande sperren sich zudem dagegen, die EU-Grundrechtecharta verbindlich zu machen. Die britische Außenministerin Margaret Beckett machte heute ihrem Ärger Luft und sprach von "schlechter Vorbereitung". Sie sei "frustriert" über den Mangel an inhaltsreichen Beratungen. "Wir haben angenommen, dass es nachhaltige Gespräche und Entwürfe gibt. Aber das war schlicht nicht so", sagte sie. Es werde schwierig, den deutschen Vorschlägen zuzustimmen.
Die deutsche EU- Ratspräsidentschaft verfolgt hingegen unbeirrt ihre Linie. Bundeskanzlerin Angela Merkel will die zentralen Reformen der gescheiterten EU-Verfassung retten. Die Präsidentschaft würde es schon als Erfolg bewerten, wenn die Diskussion nach dem Treffen fortgesetzt werde.