Fünf Jahre nach dem 11. September 2001 Das alte Europa orientiert sich neu
Die Welt hat sich nach dem 11. September 2001 verändert. Dies lässt sich auch an der Politik der Europäischen Union und ihrem Verhältnis zu den USA ablesen. Direkt nach Terroranschlägen versicherte die EU ihre uneingeschränkte Solidarität, doch dann entwickelten sich Differenzen.
Von Barbara Wesel, RBB-Hörfunkkorrespondentin Brüssel
Frank-Walter Steinmeier nannte es sogar eine Zeitenwende – die Tatsache, dass die europäischen Außenminister sich im Libanon ziemlich schnell dafür entschieden haben, aktiv in den Konflikt einzugreifen und zur Befriedung der Region eigene Soldaten zu entsenden. Es habe sich gezeigt, dass Europa seine Verantwortung begriffen hat. Und es habe sich dieser Verantwortung gemäß verhalten, bilanzierte der deutsche Außenminister. Es ist das jüngste und vielleicht eines der deutlichsten Beispiele dafür, wie in den vergangenen fünf Jahren die Europäische Union immer mehr in ihre neue Rolle als Mitspieler auf der politischen Weltbühne hineingewachsen ist.
Hieß die Antwort zunächst "Uneingeschränkte Solidarität mit den USA" offenbarte der Streit um den Irakkrieg bald Differenzen zwischen Amerikanern und Europäern. Diese wurden von der Regierung von Präsident George W. Bush lange Zeit vertieft. Man denke an Donald Rumsfelds abfällige Bemerkungen über "Old Europe". Das alte Europa aber orientierte sich neu – zum ersten Mal formulierte EU Chefdiplomat Javier Solana eine eigene sicherheitspolitische Doktrin. In ihr werden Krisenprävention und zivile Maßnahmen betont – Militäraktionen als Mittel der letzten Wahl aber nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig entwickelte die EU unabhängig von der Nato eigene Fähigkeiten, sich in Konflikten mit Soldaten zu engagieren. Heute scheint es selbstverständlich, wenn deutsche und französische Soldaten etwa die Wahlen in Kongo stabilisieren.
Dimension des außenpolitischen Denkens verändert
Mit neuem Selbstbewusstsein sagt Javier Solana heute über die Bedeutung der USA: "Sie können eine wichtige Macht sein, eine Supermacht. Aber die Anzahl und Art der Probleme, die wir heute haben, können nicht von einer einzigen Macht gelöst werden. Deshalb brauchen wir eine Art von Multilateralismus." Und da sitzen die Europäer inzwischen auf er anderen Seite des Tisches.
Aber auch bei der Justiz und Innenpolitik hat sich Europa grundlegend verändert. Dieser Bereich gehörte zum streng gehüteten Entscheidungsraum der Mitgliedsländer. Damit ist es weitgehend vorbei. Als vor zwei Jahren der neue Anti-Terror-Beauftragte der EU, Gijs de Vries, als eine Art zentraler Koordinator vorgestellt wurde, sagte er: "Was wir tun können und was unsere Bürger auch erwarten, ist, dass wir mit aller Kraft die Zusammenarbeit in der EU stärken und dass alle notwendigen Maßnahmen rechtzeitig umgesetzt werden."
Dabei spielen noch nicht alle immer schnell genug mit – dennoch: Nach den Anschlägen von Madrid und ein Jahr später von London gibt es in der EU eine eigene Anti-Terror-Strategie, wie sie der damalige Ratspräsident, der britische Innenminister Charles Clarke, darstellte: "Prävention, damit sich Menschen nicht dem Terrorismus zuwenden. Schutz, damit wir unsere Bürger und Infrastruktur besser schützen können. Verfolgung, um sicherzustellen, dass wir Terroristen grenzüberschreitend und weltweit verfolgen. Und schließlich Reaktion, um die Folgen eines Terroranschlages zu verringern."
Balance zwischen Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit
Auf dieser Grundlage gab es Beschlüsse zur Vorratsspeicherung von Handydaten, zum europäischen Haftbefehl, zum Einfrieren verdächtiger Bankkonten, ebenso bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizeibehörden, dem Datenaustausch der Geheimdienste und vieles mehr.
Eines aber ist klar: Wo die USA vom "Krieg gegen den Terrorismus" sprechen, nennen die Europäer das "Kampf". Und nach dem Eingeständnis von Präsident Bush, dass es tatsächlich geheime CIA-Gefängnisse für Terrorverdächtige wohl auch in Europa gibt, zeigte sich der konservative Europaabgeordnete Elmar Brok schockiert: Das sei ein Desaster, denn der Kampf gegen den Terrorismus könnte nur nach den Regeln des Rechts und der Menschenrechte geführt werden. "Zumindest bemüht sich die EU um diese Balance zwischen Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit", so Brok.