Flüchtlingslager in Marokko "Sie verhaften und schlagen uns"
Marokko ist eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Die EU möchte das gerne ändern und drängt die marokkanischen Behörden, gegen die Flüchtlinge vorzugehen. Was diese auch tun - nicht selten mit Gewalt.
Ein Hügel über der Stadt Nador, an der Grenze zu Melilla: In der Ferne glitzert das Mittelmeer im Sonnenlicht. Auf den Felsen haben sich fünfzehn junge Afrikaner ein notdürftiges Camp eingerichtet. Von hier aus überblicken sie das Tal und warnen die anderen Flüchtlinge im Wald, wenn die marokkanische Polizei anrückt.
Zwischen Müll und alten Matratzen
Barfuß und nur mit einem verschmierten grünen Umhang bekleidet steht Camp-Anführer Rigan auf einem Felsvorsprung, zwischen Müll, Decken und alten Matratzen. Vor neun Jahren ist er vor dem Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo geflohen - nach Europa hat er es nie geschafft. Auf Rigans kahlrasiertem Kopf ist eine lange Narbe zu sehen - vom Kolben eines Polizeigewehrs.
"Besonders schlimm ist für uns, wie die marokkanischen Behörden uns behandeln", erzählt er. "Wir sind aber keine Tiere. Wir haben schwarze Hautfarbe, aber wir sind Menschen wie alle anderen auch. Natürlich machen diese Leute ihren Job, aber sie haben keinen Respekt vor uns. Sie verjagen uns, sie verhaften und schlagen uns, sie kommen nachts und verbrennen unsere Zelte, riskieren den Tod von unschuldigen Menschen. Sie stehlen unser Geld, unsere letzten Wertsachen und sogar schwangere Frauen und Kinder schicken sie zurück an die Grenze in den Wald von Oujda." Willkürliche Verhaftungen und Kontrollen seien an der Tagesordnung, erzählt Rigan. Einmal hätte die Polizei sogar scharf geschossen, um die Flüchtlinge einzuschüchtern.
Marokkanische Hilfsorganisationen kümmern sich
Für den Marokkaner Mohamed Talbi ist das Verhalten einiger seiner Landsleute ebensowenig zu ertragen wie die Abschreckungsstrategie. Er arbeitet in Oujda für die lokale Hilfsorganisation ABCDS. "Das Leid der Menschen geht mir sehr nahe, besonders das Leid der Familien", so der Helfer. "Und ich schäme mich - für unseren so genannten Rechtsstaat Marokko, für unsere Behörden. Die Leute, die so mit den Migranten umgehen, haben selbst Familie und Kinder. Das ist einfach unmenschlich."
Vom Transitland zum Aufenthaltsort
Angesichts immer schärferer Grenzkontrollen der EU hat sich Marokko verändert: von einem Transitland zu einem mehr oder weniger erzwungenen Aufenthaltsort für afrikanische Flüchtlinge. Gleichzeitig nehmen die gewaltsamen Übergriffe auf afrikanische Migranten zu, immer mehr Fälle von Menschenhandel und sexuellem Missbrauch werden dokumentiert.
Die Regierung betont, Marokko habe die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben, die Rechte der Zuwanderer seien durch die marokkanische Verfassung garantiert. Doch für Mohamed Talbi von der Hilfsorganisation ABCDS ist der brutale Umgang mit den Zuwanderern eine tragische, aber auch logische Folge der EU-Migrationspolitik. Europa habe seine Außengrenzen politisch gesehen nach Nordafrika ausgedehnt - und damit auch die Verantwortung für das sogenannte "Flüchtlingsproblem".
"Das nimmt die EU in Kauf"
"Marokko ist zu einem Gendarm der EU geworden", meint Talbi. "So wie damals Gaddafi in Libyen oder Ben Ali in Tunesien. Die EU heuchelt eine Migrationspolitik vor, dabei unterstützt sie repressive und häufig auch rassistische Maßnahmen in den Staaten des Südens, um Migranten abzuschrecken. Die Migranten, die einfach nur ein besseres Leben suchen und hier sozusagen stecken bleiben, werden hier misshandelt. Das nimmt die EU in Kauf. Genauso, wie sie Kauf nimmt, dass jedes Jahr tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken. Es gibt in Marokko eine aktive Zivilgesellschaft, die sich dem entgegenstellt. Aber der Weg zum Schutz der Migranten und Flüchtlinge ist noch weit. Sehr weit."
Allerdings gebe es für die Flüchtlinge kein Zurück, sagt Ousmane, der aus aus Guinea hierher kam. Zweimal schon wurde er erwischt, als er von Marokko aus ins Boot steigen wollte. Immer wieder wurde er nach Nador zurückgeschickt.
Rückkehr ist schwierig
"Es wäre schwierig, nach so vielen Jahren zurückzugehen", sagt der Mann aus Guinea. "Viele Menschen sind ja aus politischen Gründen geflohen, weil Krieg herrscht, weil sie einer Oppositionspartei angehörten, weil sie verfolgt werden - oder weil die Not in ihrer Heimat einfach zu groß war. Auch wenn es hier in Marokko für uns sehr schwer ist: Zurückgehen ohne etwas vorweisen zu können, ohne Geld, ohne Erfolge, das ist unmöglich."
Ousmane blickt hinüber aufs Mittelmeer. Europa ist und bleibt sein Traum, sagt er. Sollen sie doch in Melilla und anderswo die Zäune hundert Meter hoch bauen.