Flutkatastrophe in Libyen Bis zu 20.000 Tote in Darna befürchtet
In Libyen herrscht nach den verheerenden Fluten weiter der Ausnahmezustand. Allein in der schwer betroffenen Hafenstadt Darna werden Zehntausende von Toten befürchtet. Die internationale Hilfe läuft an.
Die Zahl der Todesopfer in den Überschwemmungsgebieten in Libyen könnte Befürchtungen zufolge noch deutlich steigen. Besonders betroffen ist die Hafenstadt Darna. "Wir erwarten eine sehr hohe Zahl von Opfern. Ausgehend von den zerstörten Bezirken in der Stadt Darna können es 18.000 bis 20.000 Tote sein", sagte Bürgermeister Abdel-Moneim al-Gheithy dem arabischen Fernsehsender Al-Arabija. Er betonte, dass die gestörte Kommunikation in der Stadt die Rettung der Opfer erschwert habe.
Der Sturm "Daniel" hatte am Sonntag das nordafrikanische Land erfasst. Nahe Darna brachen zwei Dämme, ganze Viertel der 100.000 Einwohner zählenden Stadt wurden ins Meer gespült. Laut dem Bürgermeister wurden wegen der angespannten politischen Lage seit 2008 keine Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt.
Komplette Straßenzüge sind in meterhohem Schlamm versunken. Rettungsteams suchen in den Trümmern weiter nach Überlebenden. Doch die Hoffnung, Menschen lebend zu finden, schwindet. Videos in sozialen Medien zeigten Fahrzeugkolonnen, die Tote abtransportierten, auf anderen Aufnahmen trieben Leichen im Meer.
Tausende in Massengräbern beigesetzt
Mehr als 3.000 Todesopfer wurden bislang begraben, sagte der Gesundheitsminister von Ostlibyen, Othman Abduldschalil. Weitere 2.000 Leichen müssten noch bestattet werden. Die meisten Toten seien in Massengräbern außerhalb von Darna begraben worden, andere seien in nahe gelegene Städte überführt worden. Rettungsteams durchkämmten noch immer zerstörte Gebäude im Stadtzentrum, während Taucher im Meer vor Darna nach Opfern suchten.
Der Sprecher eines Ambulanzzentrums im Osten des Landes, Ossama Ali, sagte, mindestens 9.000 Menschen würden weiterhin vermisst.
Unter den Toten im Osten Libyens waren mindestens 84 Ägypter, die am Mittwoch in ihr Heimatland zurückgebracht wurden. Mehr als 70 stammten aus einem Dorf in der Provinz Beni Suef im Süden. Libyschen Medien zufolge kamen bei der Katastrophe auch Dutzende sudanesische Migranten ums Leben.
Allein in Darna wurden mehr als 30.000 Menschen obdachlos, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) auf der Plattform X (vormals Twitter) mit.
Ausnahmezustand auch in anderen Städten
Auch in anderen Teilen des Bürgerkriegslandes herrscht weiter der Ausnahmezustand. Neben Darna sind auch Städte wie Al-Baida, Al-Mardsch, Susa und Schahat betroffen. "Wir brauchen einfach Leute, die die Situation verstehen - logistische Hilfe, Hunde, die Menschen riechen können und sie aus dem Boden holen. Wir brauchen humanitäre Hilfe; Leute, die wirklich wissen, was sie tun", sagte ein libyscher Arzt dem britischen Sender BBC.
Der britische König Charles (74) brachte angesichts der furchtbaren Lage sein Beileid zum Ausdruck. Seine Frau und er seien "zutiefst betrübt" über die verheerenden Auswirkungen, hieß es in einem Schreiben des Monarchen von Mittwochabend. "Wir trauern mit allen, die ihre Lieben verloren haben, und beten weiterhin für jeden, dessen Leben und Existenz von den entsetzlichen Überflutungen betroffen ist." Zudem lobte er den "selbstlosen Mut" der Helferinnen und Helfer.
Internationale Hilfe ist angelaufen
Unterdessen ist die internationale Hilfe für Libyen angelaufen. Die EU-Kommission hatte am Mittwoch mitgeteilt, erste Hilfsgüter aus Deutschland, Rumänien und Finnland in die Überschwemmungsgebiete gesendet zu haben. Frankreich schickte rund 40 Rettungskräfte und mehrere Tonnen medizinisches Material. Italien stellte ein Marineschiff zur logistischen und medizinischen Unterstützung vor der libyschen Küste zur Verfügung. Großbritannien kündigte ein "erstes Paket" mit Hilfsgeldern in Höhe von bis zu einer Million Pfund (rund 1,2 Millionen Euro) für Libyen an. Die Vereinten Nationen sagten zehn Millionen Dollar (etwa 9,3 Millionen Euro) Hilfsgelder für die Überlebenden der Überflutungen zu.
Hilfe kommt auch aus der Türkei: Ankara erklärte am Mittwoch, per Schiff weitere Hilfe ins Land zu senden, so etwa zwei Feldlazarette. Auch Algerien, Katar und Tunesien sagten Unterstützung zu. Die Vereinigten Arabischen Emirate schickten zwei Flugzeuge mit 150 Tonnen Hilfsgütern. Aus Kuwait startete ein Flieger mit weiteren 40 Tonnen Material.
Zelte, Feldbetten, Stromgeneratoren
Das Technische Hilfswerk (THW) aus Deutschland brachte ebenfalls Hilfslieferungen auf den Weg. Nach Angaben der Organisation handelt es sich um 100 Zelte mit Beleuchtung, 1.000 Feldbetten, 1.000 Decken, 1.000 Isomatten und 80 Stromgeneratoren. Einem Sprecher der Organisation zufolge brachen acht Lastwagen noch am Mittwochabend in Richtung Wunstorf bei Hannover auf. Vom dortigen Bundeswehrstandort sollte die Fracht heute nach Libyen gebracht werden.
Auch die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" kündigte die Ankunft eines Notfallteams in der schwer betroffenen Stadt Darna an. Es bestehe aus Logistikern und medizinischem Personal, gab die Organisation auf der Plattform X bekannt. Man bringe zudem Notfallausrüstung mit zur Behandlung von Verletzten und Leichensäcke für Libyens Wohlfahrtsorganisation Roter Halbmond.