Kommunalwahlen in der Türkei Erdogan will nach Niederlage "Fehler korrigieren"
Das Ergebnis der Kommunalwahlen in der Türkei ist für Präsident Erdogan ein Debakel. Vor allem in den Metropolen schwächelt seine AKP. Nun will er "Fehler korrigieren". In Istanbul könnte ein Herausforderer heranwachsen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die Niederlage seiner Partei AKP bei den Kommunalwahlen eingeräumt. Man habe in der gesamten Türkei "an Höhe verloren", sagte er. "Leider konnten wir neun Monate nach unserem Sieg bei den Wahlen am 28. Mai bei den Kommunalwahlen nicht das gewünschte Ergebnis erzielen", sagte Erdogan.
Das Volk habe der AKP eine Botschaft übermittelt, die sie mit mutiger Selbstkritik analysieren werde. "Wir werden unsere Fehler korrigieren und unsere Unzulänglichkeiten beseitigen", versprach er. Welche Änderungen er innerhalb seiner Partei oder in der Politik vornehmen wolle, ließ er allerdings offen. "Dies ist nicht das Ende für uns, sondern ein Wendepunkt", erklärte der Staatschef.
Die islamisch-konservative AKP wurde damit erstmals seit ihrer Gründung 2002 nur zweitstärkste Kraft. Sie gewann nach Angaben der Wahlbehörde 24 der 81 Bürgermeisterämter und kam landesweit auf 35,5 Prozent der Stimmen.
Oppositionelle CHP ist Wahlsieger
Als Wahlsieger ging die oppositionelle CHP hervor. Der überraschende Wahlausgang hatte sich bereits in der Nacht abgezeichnet. Die Mitte-Links-Partei habe vorläufigen Ergebnissen zufolge landesweit 35 Bürgermeisterposten gewonnen, sagte der Leiter der Wahlbehörde, Ahmet Yener. Die CHP erhielt 37,7 Prozent der Stimmen. Ein amtliches Endergebnis steht noch aus. Vor allem in den großen Städten wie Istanbul und Ankara feierte die CHP Erfolge.
Die Abstimmung galt als Barometer für die Popularität Erdogans, der die Kontrolle über wichtige städtische Gebiete zurückzugewinnen wollte, die seine AKP bei den Wahlen vor fünf Jahren an die Opposition verloren hatte. Der damalige Sieg der CHP in Ankara und Istanbul hatte den Nimbus der Unbesiegbarkeit Erdogans erschüttert.
Schlechte wirtschaftliche Lage Grund für AKP-Wahldebakel
Die Kommunalwahl in diesem Jahr fand vor dem Hintergrund einer hohen Inflation statt, die im Februar bei 67 Prozent lag. Der Direktor der in Istanbul ansässigen Denkfabrik Edam, Sinan Ülgen, erklärte, die Wähler hätten die AKP für die wirtschaftliche Malaise bestrafen wollen. Die in die Höhe geschnellte Inflation habe dazu geführt, dass sich viele türkische Haushalte grundlegende Güter nicht mehr leisten können. AKP-Anhänger seien zu Hause geblieben oder hätten andere Parteien gewählt.
Auch ARD-Korrespondentin Katharina Willinger sieht in der schlechten Wirtschaftslage einen der Hauptgründe für das schlechte Abschneiden der AKP. Die Lage habe sich seit den Präsidentenwahlen im vergangenen Jahr weiter verschlechtert: "Die Rentner, eine starke Wählergruppe, beklagen seit langem, dass sie kaum noch ihren Lebensalltag bestreiten können und mit 70 Jahren wieder anfangen müssen zu arbeiten. Wir sehen da durchaus eine Protestwählerschaft."
Die AKP musste sich zudem mit neuer Konkurrenz auseinandersetzen: Die religiös-konservative Neue Wohlfahrtspartei Yeniden Refah Partei warb um konservative Wähler, die mit Erdogans Wirtschaftspolitik unzufrieden sind. Sie erreichte landesweit 6,2 Prozent der Stimmen und ergatterte zwei Bürgermeisterposten.
AKP verliert auch in Metropole Istanbul
Für Erdogan war Istanbul mit seinen 16 Millionen Einwohnern besonders wichtig. Dort ist er geboren und aufgewachsen und war früher selbst Bürgermeister. Istanbuls derzeitiger Bürgermeister, Ekrem Imamoglu, ist im Volk beliebt und gilt als möglicher Herausforderer Erdogans bei der Präsidentenwahl 2028.
Der CHP-Politiker liegt in Istanbul laut Anadolu mehr als elf Prozentpunkte vor seinem AKP-Herausforderer Murat Kurum. "Laut den Daten, die wir erhalten haben, scheint es, dass sich das Vertrauen unserer Bürger in uns, ihr Glaube an uns ausgezahlt hat", sagte Imamoglu. Umfragen vor der Wahl hatten ein knappes Rennen vorhergesagt.
"Er kann alle Segmente der Opposition ansprechen, ob türkische, kurdische, sunnitische, alevitische, junge oder ältere Wähler", sagte Berk Esen, Politikwissenschaftler an der Sabanci-Universität in Istanbul. Der Bürgermeister von Istanbul genieße auch "in den verschiedenen Regionen des Landes ein recht hohes Maß an Unterstützung", ergänzte der Experte.
Die CHP gewann auch in Gebieten Stimmen hinzu, die als AKP-Hochburgen gelten. In Ankara lag Bürgermeister Mansur Yavas von der CHP sogar knapp 29 Prozentpunkte vor seinem Herausforderer. "Die Wähler haben sich für eine neue politische Ordnung in der Türkei entschieden", sagte CHP-Chef Özgür Özel vor jubelnden Anhängern. "Heute haben die Wähler beschlossen, das 22 Jahre alte Bild in der Türkei zu verändern und die Tür zu einem neuen politischen Klima in unserem Land zu öffnen."
Prokurdische DEM dominiert im Südosten
Im Südosten des Landes gewann die prokurdische DEM in zehn Provinzen. Fraglich ist jedoch, ob ihre siegreichen Kandidaten ihre Ämter auch antreten können. In der Vergangenheit hat die AKP gewählte prokurdische Bürgermeister unter dem Vorwurf abgesetzt, sie hätten Verbindungen zu kurdischen Terroristen.
Die Wahlbeteiligung fiel geringer als bei vergangenen lokalen Abstimmungen aus: Sie habe zwischen 78,1 und 80,7 Prozent gelegen, teilte der Wahlbehördenleiter mit. 2019 hatten laut Anadolu etwa 84 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme bei der Kommunalwahl abgegeben.