Mehr Bürgerbeteiligung Französische Ideen zum Klimaschutz
Ein Versprechen, um auf die Gelbwestenbewegung in Frankreich zuzugehen, war mehr Bürgerbeteiligung. Nun haben per Zufall ausgewählte Bürger 150 Vorschläge zum Klimaschutz präsentiert.
Von Marcel Wagner, ARD-Studio Paris
Die Gelbwestenbewegung hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im vergangenen Jahr politisch schwer zugesetzt. Um aus der Krise herauszukommen, sagte er mehr Bürgerbeteiligung zu - auch in Sachen Klimaschutz.
Kurzerhand rief die Regierung einen Bürgerkonvent ins Leben, bestehend aus 150 per Zufall ausgewählten Französinnen und Franzosen. Neun Monate lang haben die sich immer wieder getroffen, debattiert und schließlich 150 Vorschläge ausgearbeitet. Gestern Abend haben sie die offiziell präsentiert.
Gemeinsame Abschlusserklärung
Ob der Moment wirklich ein historischer war, wird sich wohl erst noch zeigen müssen. Die Teilnehmer des ersten Bürgerkonvents für das Klima jedenfalls riss das Ergebnis von den Stühlen.
95 Prozent der 150 per Zufall ausgewählten Bürgerinnen und Bürger hatten am Ende für die gemeinsame Abschlusserklärung gestimmt. Und damit nach neun Monaten harter Arbeit ein Ausrufezeichen gesetzt, hinter die vielen, gemeinsamen, weitreichenden Vorschläge, mit denen sich nun die Regierung, das Parlament und wahrscheinlich auch die Bürger des Landes werden auseinandersetzen müssen.
Weniger schnell, weniger Fleisch
Dazu zählt etwa die Empfehlung, die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 110 km/h herabzusetzen. Weitere Ideen: Energetische Sanierung von Häusern zur Pflicht machen, Einwegplastik ab 2025 aus dem Verkehr ziehen, ein Flaschenpfand einführen, den Konsum von Fleisch- und Milchprodukten reduzieren.
Der Regisseur Cyril Dion freute sich, als das Ergebnis feststand: "Innerhalb von neun Monaten habt Ihr Euch fortgebildet, habt viel über das Thema gelernt und jetzt Vorschläge gemacht, die ambitionierter sind als all die, die sämtliche Regierungen Frankreichs vorher gemacht haben."
Dion hatte mit einigen Mitstreitern die Idee für den Bürgerkonvent entwickelt, vor etwas mehr als einem Jahr, mitten in der Gelbwestenkrise.
Die soziale Bewegung war damals in Frankereich entstanden aus dem Protest gegen zu hohe Spritsteuern, die die Regierung eingeführt hatte, um den Klimaschutz voranzutreiben. Das wollten auch die Gelbwesten, allerdings nicht auf dem Rücken derer, die oft in ohnehin abgehängten Regionen auf dem Land wohnen und das Auto zum Pendeln benötigen.
Die Idee von Cyril Dion war also, durch Zufall ausgewählte Bürger, die einen Querschnitt der Gesellschaft repräsentieren, eigenständig sozialverträgliche Vorschläge für den Klimaschutz erarbeiten zu lassen.
Macron wagte Experiment
Dion sagte: "Am 12. Februar waren wir im Büro von Emmanuel Macron. Als wir herauskamen, haben wir uns angeschaut und gesagt: Sie werden niemals den Mut haben, so etwas zu machen."
Macron aber wagte das demokratische Experiment. Und so wurden tatsächlich Schüler, Feuerwehrleute, Ärztinnen, Arbeiter, Alleinerziehende per Zufall zusammengebracht, um über die Zukunft des Landes zu debattieren.
Viele der Teilnehmer nutzten nun den Abschlusstag, um auch ihre persönlichen Erfahrungen dabei zu schildern, so wie Marie-Hélène: "Wir haben gemeinsam während dieser Monate eine völlig neue und intensive menschliche Erfahrung gemacht, die uns allen gezeigt hat, wie unglaublich notwendig eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft und unserer Art zu leben ist."
Marie-Hélène trat - wie alle Beteiligten - als Gleiche unter Gleichen nur mit ihrem Vornamen auf.
Mögliche Volksabstimmung
Emmanuel Macron hatte den Teilnehmern zugesichert, dass ihre Vorschläge politisches Gewicht haben würden.
"Es liegt in meiner Hand, ein Referendum zu beschließen. Ich könnte also ihre Vorschläge sogar in eine Volksabstimmung geben", hatte der Präsident im Januar vor dem Klimakonvent angedeutet.
Frankreichs Präsident Macron wagte das Experiment, Bürger mehr in den politischen Betrieb einzubinden.
Tatsächlich haben sich die Teilnehmer nun für ein Referendum ausgesprochen. Es wäre das erste in Frankreich seit 2005. Allerdings geht es nur um zwei Punkte.
Zum einen, den Klimaschutz in die Verfassung zu schreiben, zum anderen, einen eigenen Straftatbestand des Verbrechens gegen den Umweltschutz einzuführen.
Pläne sollen nach Corona-Krise helfen
Die weiteren fast 150 Vorschläge - darunter die Geschwindigkeitsreduzierung auf Autobahnen - übergaben die Teilnehmer nun an Umweltministerin Elisabeth Borne, die noch einmal die Unterstützung Emmanuel Macrons versprach.
"Der Präsident hat klar gesagt, dass die Vorschläge, wenn sie fertig sind, an das Parlament weitergeleitet werden. Einige könnten sogar schon jetzt in den Wiederaufbauplan nach der Coronakrise einfließen", sagte Ministerin Borne.
In gut einer Woche will Macron die Teilnehmer des Konvents noch einmal persönlich empfangen und mit ihnen diskutieren. Er dürfte darauf drängen, dass möglichst viele der Vorschläge danach auch umgesetzt werden. Denn nur dann könnte er das einmalige demokratische Experiment der Bürgerbeteiligung wirklich als Erfolg für sich verbuchen.