Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien Für Separatisten ein Testballon
Nach dem Unabhängigkeitsreferendum reagiert die EU-Kommission mit einem Aufruf zum innerspanischen Dialog eher verhalten. Dabei sind jetzt neutrale Vermittler gefordert. Denn das Referendum ruft Nachahmer auf den Plan.
Man muss keine blühende Fantasie haben, um sich ein abgespaltenes Katalonien vorzustellen. "Mit der Unabhängigkeitserklärung würde Katalonien aus der EU herausfallen", sagt Sabine Riedel von der Stiftung Wissenschaft und Politik zu tagesschau.de. "Der Chef der spanischen Zentralbank hat erklärt, dass in dem Fall sofort die Konten der katalanischen Regionalregierung gesperrt werden würden. Für Katalonien gäbe es dann keine Unterstützung mehr aus der EU."
Eine Katastrophe für beide Seiten
"Die katalanische Regionalregierung müsste sich dann bei privaten Geldgebern verschulden", führt sie das Szenario weiter aus. "Das wäre eine Katastrophe für beide Seiten. Katalonien ist zwar die reichste Region Spaniens, gleichzeitig aber - mit Valencia zusammen - die am höchsten verschuldete."
Viele Spanier empfinden das, was derzeit im Nordosten ihres Landes vorgeht, als zutiefst unfair und unsolidarisch. Nachdem Spanien im Zuge seiner Wirtschaftskrise 2012 unter den europäischen Rettungsschirm geriet, unterstützte die spanische Zentralbank auch Katalonien vor dem finanziellen Kollaps. Jetzt, da Spanien wieder auf dem Weg der Konsolidierung ist, fallen ihnen die Katalanen in den Rücken - so denken Viele.
Gewaltsam aus dem Wahllokal vertrieben
Doch nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen vom Wochenende haben sich die Fronten verhärtet. Nach Angaben des katalanischen Gesundheitsministeriums mussten sich rund 840 Bürger behandeln lassen, die bei Zusammenstößen mit der Polizei verletzt wurden. In Girona vertrieb die Guardia Civil Menschen gewaltsam aus dem Wahllokal. In Barcelona feuerten Sicherheitskräfte Gummigeschosse ab. Bilder von blutüberströmten Menschen, die den katalanischen Separatisten jetzt gut ins Konzept passen, gingen um die Welt.
Die katalanischen Separatisten steuern nun, ungeachtet des Widerstandes der Madrider Regierung, unbeirrt die Loslösung von Spanien an. Der Chef der Regionalregierung in Barcelona, Carles Puigdemont sagte, er habe die Pflicht, das Ergebnis der Befragung umzusetzen. "An diesem Tag der Hoffnung und des Leidens haben Kataloniens Bürger das Recht auf einen unabhängigen Staat in Form einer Republik erworben", sagte er.
EU: Keine Vermittlerrolle
"Es ist schmerzhaft zu sehen, wenn in unserem Europa Politik und Bevölkerung ihre Meinungsverschiedenheiten nicht gewaltfrei lösen können", bedauert Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt im Gespräch mit tagesschau.de.
"Umso wichtiger ist es jetzt, die Eskalation unverzüglich zu beenden und dringend zu Gesprächen zu finden, um eine politisch tragfähige Lösung zu erreichen. Aber wir vertrauen darauf, dass Spanien diese innenpolitische Frage aus eigener, innerer Kraft lösen kann", so Roth.
Ähnlich verhalten äußerte sich auch der Chefsprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas. Die EU-Kommission – als Hüterin der EU-Verträge – habe bei den Vermittlungen keine Rolle zu spielen, sagte er. Er forderte die Zentralregierung in Madrid und die Regionalregierung in Barcelona dazu auf, miteinander in einen Dialog zu treten.
Schiedsstellen könnten jetzt vermitteln
"Die EU reagiert entsprechend der Verträge", erklärt Riedel die Zurückhaltung der Europäer. "Sie darf sich nicht einmischen in die Angelegenheiten der Staaten." Denkbar wäre für die Politologin allerdings die Einrichtung von Schiedsstellen, um Regionalkonflikte zu klären. Dabei könnte insbesondere die Bundesrepublik vermitteln. "Deutschland könnte beispielsweise anbieten, seine Erfahrungen mit einem föderalen Modell zur Verfügung zu stellen. Das ist doch das europäische Modell: dass man voneinander lernt."
Staatsminister Roth zufolge ist da allerdings Vorsicht geboten. "Eine Einmischung von außen würde den Konflikt vermutlich nicht lösen können, sondern noch anheizen."
Derweil solidarisierten sich Separatisten in ganz Europa mit den Katalanen. Die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, beklagte auf Twitter die Reaktion des britischen Auswärtigen Amtes zu den Vorgängen in Katalonien als "beschämend schwach". "Ein wahrer Freund Spaniens würde sagen, dass die Vorgänge falsch und zerstörerisch waren."
Europäische Medien bis hin zum Schwarzen Meer verfolgten das Referendum in Katalonien mit Sorge. "Es liegt auf der Hand, dass - falls sich Katalonien von Spanien abspalten sollte - ähnliche Forderungen in ganz Europa als ungewollte Kettenreaktion kursieren werden", kommentierte die bulgarische Zeitung "24 Tschassa" das Geschehen.
Ein einziges Pulverfass
"Katalonien ist jetzt ein Testballon für Separatisten", erklärt Riedel. "Die Schotten und die Basken halten denen die Daumen - sowie Nordirland, Zypern, Südtirol, Flandern, und in Rumänien die ungarischsprachige Minderheit, die sich eine Territorial-Autonomie wünscht. Außerdem der ganze Westbalkan, das ist ein einziges Pulverfass. Da steht schon das nächste Referendum bevor, nämlich das der bosnischen Serben. Und wohin Separatistenbewegungen führen können, haben wir im Balkan bereits gesehen."
Unterdessen sind die Folgen des Referendums spürbar. Der Euro fiel auf ein Tagestief von 1,1730 Dollar. Auch spanische Aktien und Anleihen standen unter Druck. "Es ist nicht klar, ob es tatsächlich zu einer Unabhängigkeit der Region kommt", sagte Analyst Padhraic Garvey von der Bank ING. "Aber klar ist, dass Spanien vor einer tiefen politischen Krise steht."