Nach dem Großbrand Die gekidnappten Häuser von Johannesburg
77 Menschen starben Ende August, als ein von Banden "gekidnapptes" Haus in Johannesburg Feuer fing. Hunderte solcher Gebäude gibt es hier - sie sind ein Symbol für Versagen und Verfall. Ist die Stadt noch zu retten?
Hausnummer 80, Albert Street. Das wird für die Menschen in Johannesburg noch lange Zeit ein Symbol für die Hölle auf Erden sein. Am 31. August, kurz nach Mitternacht, war offenbar eine Kerze umgefallen. Innerhalb kürzester Zeit stand das fünfstöckige Gebäude in Flammen. Mehr als 200 Familien lebten hier, von menschenwürdigem Leben in diesem Haus konnte man aber schon vor dem Brand nicht sprechen.
Die Bewohner saßen in der Falle. Die Notausgänge waren zu, auch die eigentlichen Hauseingänge, mit schweren Gittern verschlossen, damit nachts keine Einbrecher in das Haus eindringen konnten. 77 Tote, davon 12 Kinder, 88 Verletzte. Die meisten erstickten an den versperrten Ausgängen, viele verbrannten bis zur Unkenntlichkeit. Die meisten Opfer sind bis heute nicht identifiziert.
In dem Bau saß zu Zeiten der Apartheid eine Behörde, das sogenannte "Department for Non-European Affairs". Damals, während der Politik der Rassentrennung, war Johannesburg eine Stadt, in der sich nur Menschen mit weißer Hautfarbe frei bewegen konnten. In den Cafés lagen europäische Zeitungen aus, eine Straßenbahn fuhr, es gab wenig Kriminalität.
77 Bewohner von 80 Albert Street verbrannten. Die Notausgänge waren zu, auch die eigentlichen Hauseingänge waren mit schweren Gittern verschlossen.
Organisiertes Verbrechen übernahm Kontrolle
Menschen mit schwarzer Hautfarbe aber mussten einen Passierschein vorweisen, um morgens die Innenstadt betreten zu können, dort zu arbeiten, und abends wieder in die Armenviertel der Metropole zurückzukehren. Dann endete die Apartheid. 1994 wurde Nelson Mandela der erste schwarze Staatspräsident Südafrikas, nach den ersten wirklich demokratischen Wahlen.
Aber die Weißen? Sie verließen die Innenstadt, hatten Angst, jetzt wären sie an der Reihe, unterdrückt zu werden. Architektonisch war Johannesburg, und ist es zum großen Teil immer noch, eine Stadt mit Gebäuden, die Macht ausstrahlen sollten - Banken, Versicherungen, Behörden. Die Häuser sind immer noch da, die früheren Machthaber längst weg.
So entstand ein Vakuum, in das innerhalb kürzester Zeit das organisierte Verbrechen eindrang, Kriminelle aus der ganzen Welt, die ihre Chance witterten. Menschenhändler aus Mosambik, organisierte Prostitution aus Nigeria, Banden aus Albanien, aus Großbritannien, auch aus Deutschland. Die Innenstadt wurde zur "No-Go-Area".
700 "Gekidnappte" Häuser
Das Haus mit der Nummer 80 in der Albert Street stand zunächst leer. Irgendwann, wann genau weiß niemand mehr, zogen Menschen in das Gebäude. Menschen, die aus ihrer Heimat weggezogen waren, weil es dort nichts als Armut gab. Menschen, die in Johannesburg jeden Tag aufs Neue auf der Suche nach Arbeit waren. Arbeitsmigranten aus anderen afrikanischen Ländern, aus Malawi, Simbabwe, Mosambik, aber auch Menschen aus Südafrika.
Die früheren Büros wurden mit Gipskartonplatten oder mit Zeltplanen aufgeteilt. Die Menschen schliefen in kleinen Verschlägen, kochten ihre Mahlzeiten auf offenen Feuern. Aber: Sie mussten Miete zahlen - und zwar kriminellen Gangs, die das Haus "gekidnappt" hatten.
Eigentlich gehört das Gebäude der Johannesburger Stadtverwaltung. Sie hatte es 2019 gekauft, um Stellplätze für abgeschleppte Fahrzeuge zu schaffen. Nicht weit entfernt ist eine große Johannesburger Polizeistation. Die Stadtverwaltung aber kümmerte sich nicht mehr, die Mietzahlungen kassierten also die Gangster. Über 700 solcher Häuser gibt es in der Innenstadt von Johannesburg. Sie sind ein Symbol für Behördenversagen, ein Symbol für den Verfall der Gegend, dem früheren Geschäftszentrum.
Verlorene Stadt oder "Comeback Kid"?
Staatspräsident Cyril Ramaphosa kam am Tag des Brandes und sprach davon, dass dies ein Wendepunkt sein müsse, dass man sich jetzt um die vernachlässigten Gebiete kümmern müsse. Kaum jemand in Südafrika hat ihn ernst genommen.
Asyatu Madi, eine Frau aus Malawi meinte danach: "Es ist ja so, dass wir hier gar nicht leben wollten. Wir mussten es." Sie war mit ihrem sechs Monate altem Baby aus dem vierten Stock gesprungen, hatte sich das Bein gebrochen. Aber sie und ihr Kind haben überlebt. Jetzt sagen auch ihre Nachbarn: "Wir haben keine Stadt mehr. Wir haben die Stadt verloren."
Dass die Stadtverwaltung hier etwas zum besseren ändern wird, daran glaubt kaum jemand. Voller Verachtung hören die Menschen, wie die Behörden versuchen, sich zu rechtfertigen. In den letzten Monaten hätten die Bürgermeister zu oft gewechselt, hieß es.
Das stimmt zwar, zahlreiche wacklige Koalitionen führten in letzter Zeit dazu, dass es einen Bürgermeister nach dem anderen gab. Der Verfall der Innenstadt geht aber viel länger zurück.
Kurz vor und während der Fußball-WM 2010 gab es ein paar hoffnungsträchtige Versuche, die Innenstadt wieder bewohnbar, sogar sicher zu machen. Doch nach ein paar Jahren verschlimmerte sich die Situation wieder. Jetzt versucht eine Hilfsorganisation einen neuen Anlauf, die "Jozi My Jozi"-Initiative. "Jozi", das ist Johannesburgs alter Spitzname.
Hinter der Organisation stehen einige Banken, aber auch eine Fastfood-Kette und Microsoft. Schulen sollen errichtet werden, Firmen sollen sich wieder ansiedeln, "gekidnappte" Häuser sollen geräumt und neben ihnen Spielplätze errichtet werden. Ob die Initiative Erfolg haben wird, ist völlig offen. Aber die Organisatoren hoffen, dass sie es schaffen. Einen neuen Spitznamen für die Innenstadt Johannesburgs haben sie schon: "Comeback Kid".