Nahostkonflikt So könnte es für Gaza nach dem Krieg weitergehen
Israel bereitet offenbar eine Bodenoffensive gegen die Hamas-Terroristen im Gazastreifen vor. Doch politisch fehlt ein Plan für die Zeit nach dem Krieg. Wie könnte es im Gazastreifen weitergehen - vier Szenarien.
Etwa 1.400 Menschen hat die militant-islamistische Hamas bei ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober getötet. Seitdem blickt die Welt wieder Richtung Nahost. Israel reagierte auf den Überfall mit Luftangriffen auf Hamas-Stellungen im Gazastreifen - und bereitet eine Bodenoffensive vor. Das Ziel: die Hamas unschädlich machen, ihre Strukturen zerschlagen.
Doch noch hat die Bodenoffensive nicht begonnen. Einerseits, weil Israel noch hofft, weitere Geiseln in der Gewalt der Hamas durch Verhandlungen freizubekommen. Andererseits aber womöglich auch, weil ein klarer Plan für den Gazastreifen für die Zeit nach dem Krieg fehlt. Mehr als zwei Millionen Menschen leben hier, unter extrem schwierigen Bedingungen und ohne wirkliche Perspektiven. Ein Nährboden für Hass und Terror.
Wird Israel den Gazastreifen wieder besetzen? Oder übernehmen dann andere Staaten die Verantwortung für Gaza? Vier mögliche Szenarien im Überblick:
1. Israel besetzt den Gazastreifen
Israel will die Hamas und ihre militärischen Fähigkeiten zerstören und damit Terrorangriffe aus dem Gazastreifen unmöglich machen. Sollte das gelingen, muss es einen Plan geben, was danach mit Gaza passiert. Experten warnen bereits vor einem drohenden Machtvakuum. "Andere Kriegsherren könnten die Kontrolle übernehmen, vielleicht noch schlimmer als die Hamas, falls das überhaupt möglich ist", sagte Professor Jonathan Rynhold, Leiter der Politikabteilung der Universität Bar Ilan bei Tel Aviv.
Um das zu verhindern, könnte Israel den Gazastreifen wie schon zwischen 1967 und 2005 besetzen. Das scheint aber wenig wahrscheinlich. Schon die frühere Besatzung war kaum zu halten, der Abzug 2005 schwierig zu organisieren.
Bei einer Sicherheitsbesprechung im israelischen Parlament sagte Verteidigungsminister Yoav Gallant zuletzt, Ziel sei ein "Ende der Verantwortung Israels für das Schicksal des Gazastreifens". Israels Botschafter bei den UN, Gilad Erdan, sagte dem US-Sender CNN außerdem: "Wir haben kein Interesse daran, Gaza zu besetzen oder in Gaza zu bleiben."
Auch der deutsche Militärexperte Carlo Masala hält das Szenario für unwahrscheinlich. "Das wäre auch die schlechteste aller Lösungen, weil sie den Terrorismus nur erneut befeuern würde", sagte er tagesschau.de.
2. Israel übergibt der Autonomiebehörde die Verantwortung
Als Israel den Gazastreifen 2005 verließ, übergab man die politische Kontrolle an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Sie ist die Quasi-Regierung in den Autonomiegebieten in Westjordanland und Gazastreifen. Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid favorisiert ebenfalls ein Szenario, in dem Israel nach einer erfolgreichen Bodenoffensive erneut der Palästinensischen Behörde die Kontrolle übergibt.
Die PA wurde 1994 durch ein Abkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ins Leben gerufen, um Regierungsaufgaben in den palästinensischen Gebieten zu übernehmen. Die PLO ist die Dachorganisation verschiedener Palästinenser-Fraktionen. Die Behörde mit Sitz in Ramallah ist mit der PLO noch immer eng verbunden, politisch ist diese allerdings immer schwächer geworden.
Bereits 2007 hatte die Behörde die Kontrolle über den Gazastreifen an die Hamas verloren. Vorausgegangen war ein Sieg der Hamas bei der palästinensischen Parlamentswahl 2006. Dem folgte ein kurzer Bürgerkrieg zwischen Anhängern der Hamas und der rivalisierenden Fatah-Bewegung. Die Fatah bestimmt noch immer im Westjordanland die Geschicke und wird von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas geleitet. Er führt gleichzeitig auch die PLO.
Abbas wird bald 88 Jahre alt, seine Macht ist begrenzt, Kritiker werfen ihm Korruption vor. Dass die Palästinensische Autonomiebehörde ausgerechnet unter Abbas die Kontrolle im Gazastreifen übernehmen könnte, ist mehr als fraglich. "Seine Autonomiebehörde ist schwach - und nach vielen Jahren ohne Wahlen fehlt ihr auch jegliche Art von demokratischer Legitimierung", berichtete ARD-Korrespondent Jan-Christoph Kitzler aus Tel Aviv.
Das sehen auch die Experten der Denkfabrik Crisis Group so. Nach ihrer Einschätzung gibt es wenig Hoffnung, dass die bereits extrem unbeliebte Behörde nach einer israelischen Invasion in den Gazastreifen zurückkehren könnte, "ohne wie ein Feind behandelt zu werden".
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas: Zu schwach für den Gazastreifen?
3. Israel übergibt Ägypten die Kontrolle
Die Nachrichtenagentur AFP berichtet unter Berufung auf eine Quelle im israelischen Außenministerium, dass Israel die Verantwortung für den Gazastreifen gern an eine dritte Partei abgeben würde. Etwa an Ägypten, das an den Gazastreifen grenzt und das Gebiet bereits von 1948 bis zum Sechstagekrieg 1967 verwaltete. Allerdings könne Israel gar nicht abschätzen, ob Kairo einem solchen Szenario überhaupt zustimmen würde, berichtet die AFP. Bislang hat sich auch kein anderes arabisches Land für eine solche Option angeboten.
Der libanesische Forscher Hussein Ibish, Mitglied des Arab Gulf States-Instituts in Washington, glaubt nicht an eine Lösung mit Ägypten. Schon seit Jahrzehnten sei das ein Ziel Israels, sagte Ibish laut dem Portal "L'Orient Today": "Aber Kairo wird sich unter keinen Umständen in eine direkte Beteiligung im Gazastreifen verwickeln lassen".
Das sieht man auch daran, dass Ägypten den Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen derzeit geschlossen hält. Flüchtlinge aus Gaza sollen nicht nach Ägypten gelangen. Dort befürchtet man, dass so auch Terroristen der Hamas ins Land kommen und man so in den Konflikt reingezogen werden könnte.
4. Gaza wird von einer internationalen Staaten-Gruppe verwaltet
Möglich wäre aber auch, die Verantwortung für den Gazastreifen nicht nur einem Land zu übertragen, sondern einer internationalen Staaten-Gruppe. Das soll derzeit das von Israel und den USA bevorzugte Szenario für den Gazastreifen sein. So schätzt es der Leiter der israelischen Denkfabrik Begin-Sadat Center for Strategic Studies, Eitan Shamir, ein. An dieser internationalen Kooperation könnten demnach die Palästinensische Autonomiebehörde sowie hinsichtlich der Verwaltung die USA und Europa beteiligt sein, Geld dafür könnte auch Saudi-Arabien beisteuern.
Der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Barak favorisiert laut "Frankfurter Rundschau" ein Bündnis von arabischen Staaten. Ähnlich sieht es laut "FAZ" der israelische Sicherheitsexperte Michael Milshtein, Leiter des "Forums für Palästinensische Studien" an der Universität Tel Aviv. Demnach könnten Länder wie Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien die Ordnung im Gazastreifen wiederherstellen und die Kontrolle anschließend einer zivilen palästinensischen Verwaltung übergeben.
Experte Robert Blecher vom Thinktank "International Crisis Group" sieht eine internationale Verwaltung dagegen kritisch: Israel habe sich in Sicherheitsfragen schließlich noch nie auf fremde Hilfe verlassen. Allerdings hat Israel bereits eine Pufferzone zwischen dem Gazastreifen und Israel ins Spiel gebracht, dafür müsse der Gazastreifen schrumpfen. Außenminister Eli Cohen hatte gesagt, nach den Kämpfen werde der Gazastreifen kleiner sein als zuvor.
Kriegsverlauf ungewiss
Jedes der Szenarien birgt Unwägbarkeiten. Einen festen Masterplan für den Gazastreifen gibt es nicht. Zumal nicht mal klar ist, ob und wann Israels Bodenoffensive beginnt - und wie lang sie dauern könnte. Israels Verteidigungsminister Gallant rechnet mit monatelangen Kämpfen, bis es "keine Hamas mehr geben" werde.
Doch dann besteht auch noch das Risiko, dass die Lage weiter eskaliert. Iran bedroht Israel immer wieder, die aus Teheran gesteuerte Terrormiliz Hisbollah im Libanon könnte stärker in den Konflikt eingreifen. Eine Ausweitung des Krieges im Nahen Osten droht, das befürchten auch Europa und die USA. Und dann wäre eine politische Lösung für den Gazastreifen wohl kaum möglich.