Krieg in Nahost Israel flutet das "Spinnennetz" der Hamas
Israel hat offenbar damit begonnen, testweise Tunnel der Hamas unter dem Gazastreifen zu fluten. Das weit verzweigte System dient den Terroristen nicht nur als Versteck, sondern auch zum Schmuggeln von Waffen, Geld und Lebensmitteln.
Laut israelischen- und US-amerikanischen Medienberichten hat Israels Militär damit begonnen, Tunnel der radikal-islamistischen Hamas im Gazastreifen mit Meerwasser zu fluten. Damit sollten das unterirdische Netzwerk aus Gängen und Verstecken vernichtet und Hamas-Kämpfer an die Oberfläche getrieben werden. Es handele sich allerdings um erste Tests, berichtete die "Times of Israel".
Politiker protestieren gegen eine Flutung, weil sie in den Tunneln von der Hamas verschleppte Geiseln vermuten. US-Präsident Joe Biden sagte, es gebe Berichte, dass es "keine Geiseln in diesen Tunneln gibt. Aber ich weiß es nicht mit Sicherheit." Expertinnen und Experten nehmen an, dass sich zumindest einige der verbleibenden 135 Gefangenen der Hamas in den Gängen befinden.
Umweltschützer befürchten unterdessen, dass die Flutung langfristige Auswirkungen auf das Grundwasser im Gazastreifen haben dürfte. Denn gefährliche Substanzen, die die Hamas in ihren Verstecken lagere, könnten in die Böden einsickern. Zudem seien Auswirkungen auf die Statik von Fundamenten und Gebäuden zu erwarten.
Es wäre nicht das erste Mal ...
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Tunnel geflutet werden: Bereits 2015 hatte das ägyptische Militär mehrere Tunnel unter Wasser gesetzt, die vom Gazastreifen auf die ägyptische Sinai-Halbinsel führten, um dadurch Schmuggel zu unterbinden.
Vergangene Woche hatte das israelische Militär mitgeteilt, dass Soldaten seit Beginn der Bodeninvasion Ende Oktober mehr als 800 Tunnelschächte im Gazastreifen entdeckt hätten. Davon seien etwa 500 zerstört worden.
Ein Armeesprecher beschrieb das Tunnelnetzwerk unter dem rund 45 Kilometer langen und etwa sechs bis 14 Kilometer breiten Gazastreifen einmal als "Metro". Einige der Tunnel würden strategische Einrichtungen der Hamas unterirdisch miteinander verbinden. Nach Darstellung des Militärs befinden sich die Schächte in Wohngebieten, neben Schulen und Kindergärten.
"Niemand weiß, wie lang die Strecke ist"
Das System wird auf rund 500 Kilometer Länge geschätzt. Daphne Richemond-Barak, Expertin für unterirdische Kriegsführung an der Reichman-Universität in Tel Aviv, sagte zuletzt aber der "New York Times", dass niemand wisse, wie lang die Strecke tatsächlich ist. Der Militärexperte Harel Chorev von der Universität Tel Aviv sagte bei CNN, er glaube, dass die Hamas mit den 500 Kilometern "ein wenig übertreibt", weil sie Israel "von einer Invasion abhalten" wolle.
In einigen Punkten sind sich Expertinnen und Experten aber einig: Die Tunnel sind zum Teil betoniert oder mit Strom versorgt. Im Schnitt sind sie zwei Meter hoch und einen Meter breit, einige sind aber auch groß genug für Fahrzeuge. Manche reichen Dutzende Meter unter die Erde. Ihre Zugänge sollen in Wohnhäusern oder Moscheen liegen. Nach Erkenntnissen israelischer Geheimdienste betrieb die Hamas auch unter dem Al-Schifa-Krankenhaus, der größten Klinik im Gazastreifen, ein Kommando- und Kontrollzentrum.
Zölle sollen Hamas Millionen eingebracht haben
Seitdem Israel sich 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen hatte, baute die Hamas das Tunnel-Netzwerk immer weiter aus. Durch die Schächte sollen Waffen in das Gebiet gebracht worden sein. Es heißt, dass auch Menschen irregulär die Grenze überqueren können, etwa hochrangige Hamas-Funktionäre, ausländische Militärberater oder Kuriere mit Geldkoffern. Auch Lebensmittel, Konsumgüter, Autos und Treibstoff gelangen durch die Tunnel in den Gazastreifen. Sogar ein Löwe für den Zoo soll auf diese Weise in das Gebiet geschmuggelt worden sein.
Nach Angaben von Einwohnern erhebt die Hamas auf alle Waren Zölle und finanziert sich auf diese Weise. Das Geschäft soll der Terrormiliz jährliche Einnahmen in Millionenhöhe beschert haben.
Nicht zuletzt bieten die Tunnel den Terroristen Schutz vor Angriffen. Sie nutzen sie aber auch, um aus dem Nichts aufzutauchen und hinterrücks anzugreifen. Eine aus dem Gazastreifen am 23. Oktober freigelassene 85-Jährige beschrieb das System, durch das sie sich während der Geiselnahme bewegen musste, als ein "Spinnennetz".