Sorge im Libanon vor Krieg mit Israel "Die Leute halten sich bereit"
Israel wird nicht nur vom Gazastreifen aus angegriffen. Auch an seiner Nordgrenze zum Libanon gab es schon Gefechte. Die Sorge ist groß, dass es dort zu einer zweiten Front kommt.
In seinem modernen, vollverglasten Büro in den Bergen oberhalb von Beirut bittet Rabih Haber als erstes um Entschuldigung. Er komme gerade von einem Termin bei einem ehemaligen libanesischen Präsidenten - deswegen sei er verspätet. Haber ist Meinungsforscher und ein vielgefragter Mann in diesen Tagen. Was bedeutet der Krieg zwischen Israel und der Hamas für das Land - wird die schiitische Hisbollah sich daran beteiligen?
Meinungsforschung ist im Libanon ziemlich kompliziert, sagt Haber. Das Land hat seit einem Jahr keinen Präsidenten, die Regierung ist nur geschäftsführend im Amt - bei ziemlich jeder politischen Frage gingen die Meinungen sehr weit auseinander. Außer in einem Punkt: "Der Libanon ist sich einig: Wir sind gegen Israel."
Die Einigkeit höre aber schnell auf, wenn es um einen möglichen Krieg gegen Israel geht, davor hätten viele Angst.
Was will die Hisbollah jetzt?
Krieg oder Frieden: Diese Frage wird im Libanon aber nicht durch Umfragen entschieden und auch nicht von der Regierung. "Die können nichts machen", sagt Haber. "Die sind nicht diejenigen, die die Entscheidung treffen.“
Dies seien die schiitische Hisbollah-Miliz und ihre Förderer im Iran. Nach dem Angriff auf Israel durch die Hamas am Samstag hat die Hisbollah mehrfach israelische Militärstellungen an der Grenze beschossen. Allerdings gab es solche Zwischenfälle, wie sie im Libanon gerne genannt werden, schon häufig in den letzten Jahren. Seit 2006 kam es aber nicht mehr zu einem größeren Krieg. Also, was will die Hisbollah jetzt?
Ich denke, dass die Hisbollah im Moment abwartet, ob die israelische Armee in den Gazastreifen einmarschiert oder nicht.
Expertin: Hisbollah hat Kontrolle
Monika Borgmann-Slim kennt die Hisbollah besser als viele Libanesen. Die Deutsche lebt seit mehr als 20 Jahren im Süden Beiruts, im Kerngebiet der Schiitenmiliz. Ihr Mann, der Verleger und Aktivist Lokman Slim, wurde vor zweieinhalb Jahren brutal umgebracht - allen Erkenntnissen nach von Hisbollah-Leuten. Im Prinzip, sagt Borgmann-Slim, wisse die Führung der Miliz ganz genau, wie weit sie das Zündeln an der Grenze zu Israel treiben könne.
Die Hisbollah habe dies zu einem großen Maß unter Kontrolle, sagt sie. "Gleichzeitig denke ich, dass man nie ausschließen kann, dass irgendwas diesen Flächenbrand auslöst, auch wenn es von beiden Seiten nicht gewollt ist."
"Wir sind doch schon am Nullpunkt angekommen"
Und was dann, wenn die Hisbollah Libanon tatsächlich in den Krieg zieht? Das wäre eine Katastrophe für das Land, meinen viele - auch ohne Krieg gehe es den Leuten schon schlecht genug, nach jahrelanger Wirtschaftskrise.
Raffih, ein 35-jähriger Verkäufer, meint resigniert: "Wir sind doch schon am Nullpunkt angekommen - eigentlich noch darunter. Es ist längst alles kaputt. Wir haben nichts mehr zu verlieren - es gibt schon jetzt keinen Strom, im Hafen gab es die große Explosion. Über einen Krieg verlieren wir keine Tränen mehr."
Krieg von 2006 noch präsent
Shehina ist Ärztin, sie kommt aus Syrien - anders als viele Libanesen reagiert sie nicht mit Schuldzuweisungen an Israel. Sie appelliert an die Menschlichkeit. "Es reicht langsam mit den Kriegen", sagt sie. "Überall sollte Frieden herrschen. Auch wenn das jetzt Israelis waren, die haben doch auch alle Familien. Niemand verdient so etwas."
Als Syrerin weiß sie, was Krieg bedeutet. Das gelte auch für Libanesen, sagt Monika Borgmann-Slim. Viele hätten den Krieg von 2006 noch im Kopf. Nach den ersten Meldungen über Kampfhandlungen an der Grenze hätten jetzt viele ihre Koffer gepackt. "Es gab immense Staus aus dem Süden nach Beirut. Das Trauma sitzt tief. Die Leute halten sich bereit."