Anwohner stehen auf einem Fußballplatz auf den Golanhöhen, in das eine Rakete eingeschlagen ist.

Nach Raketeneinschlag auf Golanhöhen Sorge vor einer weiteren Eskalation

Stand: 28.07.2024 03:08 Uhr

Nach dem tödlichen Raketeneinschlag auf den Golanhöhen droht Israel mit Vergeltung, Premier Netanyahu kehrt vorzeitig aus den USA zurück. UN-Vertreter warnen vor einem Flächenbrand und rufen alle Seiten zu "größtmöglicher Zurückhaltung" auf.

International wächst nach dem tödlichen Raketeneinschlag auf den von Israel besetzten Golanhöhen die Sorge vor einem Flächenbrand. Israel macht die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah für den Angriff mit zwölf Toten verantwortlich und droht mit Vergeltung. "Die Hisbollah wird einen hohen Preis dafür bezahlen, einen Preis, den sie bislang noch nicht bezahlt hat", sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu Medienberichte zufolge. Der Regierungschef zog seine geplante Abreise aus den USA um mehrere Stunden vor, schrieb sein Büro auf X. Nach seiner Rückkehr werde er das Sicherheitskabinett einberufen.

Auch die israelische Militärführung war unmittelbar nach dem Vorfall zu Lagebesprechungen zusammengekommen. Verteidigungsminister Yoav Gallant seien "mehrere Optionen für Operationen gegen die Hisbollah" vorgelegt worden, teilte das Ministerium mit. Der Minister habe den Ablauf der Operationen festgelegt und entsprechende Befehle erteilt, hieß es in der Mitteilung, die keine weiteren Einzelheiten nannte.

Der israelische Außenminister Israel Katz drohte der Hisbollah offen mit Krieg. "Es gibt keinen Zweifel, dass die Hisbollah alle roten Linien überschritten hat", sagte er dem Fernsehsender Channel 12. "Wir stehen vor einem umfassenden Krieg." Das könne mit hohen Kosten für Israel verbunden sein, aber die Kosten für die Hisbollah würden noch höher sein, so Katz.

Die Hisbollah selbst bestritt, für den Raketenangriff verantwortlich zu sein. Zwar habe sie Vergeltungsschläge für einen israelischen Luftangriff ausgeübt. Man sei aber nicht für den Raketeneinschlag auf dem Fußballplatz verantwortlich, sagte Mohammad Afif, ein hochrangiger Vertreter der Gruppe.

UN-Vertreter rufen zu Zurückhaltung auf

UN-Vertreter riefen beide Parteien nachdrücklich zu "größtmöglicher Zurückhaltung" auf. "Wir bedauern den Tod von Zivilisten - kleinen Kindern und Teenagern - in Madschd al-Schams. Die Zivilbevölkerung muss zu jeder Zeit geschützt werden", teilten der Chef der UN-Friedenstruppe im Libanon, Aroldo Lázaro, und die Sonderkoordinatorin für das Land, Jeanine Hennis-Plasschaert, in einer gemeinsamen Stellungnahme mit.

"Wir fordern die Parteien nachdrücklich auf, größtmögliche Zurückhaltung zu üben und die anhaltenden heftigen Feuergefechte zu beenden", hieß es weiter. Diese "könnten einen größeren Flächenbrand entfachen, der die gesamte Region in eine unvorstellbare Katastrophe stürzen würde". Man stehe sowohl mit dem Libanon als auch mit Israel in Kontakt.

Borrell fordert unabhängige Untersuchung

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb im Onlinedienst X von "schockierenden Bildern" und fügte an: "Wir brauchen eine unabhängige internationale Untersuchung dieses inakzeptablen Vorfalls." Zudem forderte er alle "Parteien dringend auf, äußerste Zurückhaltung zu üben und eine weitere Eskalation zu vermeiden".

Die US-Regierung bekräftigte nach Bekanntwerden des Raketeneinschlags ihre Unterstützung für Israel. "Unsere Unterstützung für die Sicherheit Israels ist eisern und unerschütterlich, gegenüber allen vom Iran unterstützten Terrorgruppen, einschließlich der libanesischen Hisbollah", sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats in Washington. Dies sei von "höchster Priorität".

Kinder und Jugendliche getötet

Die tödliche Rakete war am Samstagabend auf einem Fußballplatz auf den von Israel besetzten Golanhöhen eingeschlagen. Nach israelischen Angaben wurden zwölf Menschen getötet. Bei den Opfern handelte es sich um Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 20 Jahren, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Demnach wurden auch mehrere Menschen verletzt. Der Fußballplatz gehört zu einem Dorf mit Einwohnerinnen und Einwohnern drusischen Glaubens. Die arabischsprachige Religionsgemeinschaft ging im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervor und siedelt heute vor allem in Syrien, dem Libanon, Israel und Jordanien.

Hagari sagte, es lägen hinreichende militärische und nachrichtendienstliche Erkenntnisse vor, dass die Rakete von der Hisbollah abgefeuert wurde. Zudem identifizierte er sie als eine Falak-1 aus iranischer Produktion. "Hier auf dem Fußballplatz ist eine Falak-1-Rakete eingeschlagen, eine iranische Rakete mit einem Gefechtskopf mit über 50 Kilogramm Sprengstoff", so Hagari. Die Falak-1 werde nur von der Terrorgruppe Hisbollah benutzt, die diesen Anschlag von Schebaa im Süden des Libanon aus verübt habe.

Tote nach Raketeneinschlag auf israelischen Fußballplatz - Israel beschuldigt Hisbollah

Birgit Rätsch, BR, tagesthemen, 27.07.2024 22:15 Uhr

Bericht: Hisbollah bereitet sich auf möglichen Angriff vor

Der Nachrichtenagentur dpa zufolge bereitet sich die Hisbollah nun auf einen möglicherweise schweren Angriff Israels vor. "Wir sind seit Monaten in Bereitschaft und halten Ausschau nach jeglichem Angriff des Feindes", zitiert die dpa Kreise der Hisbollah. "Dies ist nichts Neues, wir sind in ständiger Bereitschaft", hieß es demnach weiter. Jetzt erwarte man einen möglicherweise "harten Angriff".

Libanesische Medien berichteten, die Miliz habe in Erwartung eines möglichen israelischen Angriffs rund 100 ihrer Posten in Vororten südlich der Hauptstadt Beirut geräumt. In diesen Gegenden ist die Hisbollah besonders aktiv. Hier könnte Israels Armee ansetzen, sollte sie einen besonders schweren Angriff starten wollen.

Bei dem Raketeneinschlag handelt es sich um den schwersten Zwischenfall seit Monaten in den Auseinandersetzungen im israelisch-libanesischen Grenzgebiet. Neben dem fast täglichen Beschuss im Grenzgebiet und tiefer im Landesinneren des Libanon hat Israels Armee auch mehrfach gezielt Hisbollah-Kommandeure getötet. In einem südlichen Stadtteil Beiruts wurde bei einem mutmaßlich israelischen Drohnenangriff im Januar zudem der zweithöchste Anführer der islamistischen Hamas im Ausland, Saleh al-Aruri, getötet. Die Hisbollah verfügt laut der Nachrichtenagentur dpa über ein Arsenal von rund 150.000 Raketen und Drohnen und gilt als noch schlagkräftiger als die Terrormiliz Hamas, gegen die Israel im Gazastreifen kämpft.

Clemens Verenkotte, ARD Tel Aviv, tagesschau, 28.07.2024 00:57 Uhr