Junge Menschen im Iran "Eine Wahl zwischen schlecht und noch schlechter"
Sie haben protestiert und sind gescheitert: Viele junge Iraner blicken mit Frust auf die heutige Wahl. Zur Abstimmung gehen sie nicht. Sie träumen von Freiheit in Kanada.
61 Millionen Wahlberechtige gibt es im Iran. Aber nicht mal mehr die Hälfte hat bei den letzten beiden Wahlen abgestimmt. Für die Präsidentenwahl heute sagen viele Institute wieder Rekordtiefstwerte bei der Wahlbeteiligung voraus. Dabei hat der Oberste Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, klar gemacht, es ist die Pflicht jedes Iraners und jeder Iranerin, zu wählen. Doch viele fühlen sich dem nicht verpflichtet, vor allem viele junge Leute.
Sarvenaz und ihr Freund Sina sind nach der Arbeit raus aus der Stadt Rascht ins grüne Umland gefahren, nicht weit weg vom Kaspischen Meer. Sie wollen einfach durchatmen. Als erstes streift sich die 27-jährige das Kopftuch ab. Sie weiß, wo sie was anziehen kann, sagt sie - oder besser gesagt, sie hat es gelernt. Sarvenaz hatte schon eine Begegnung mit der berüchtigten Sittenpolizei:
Ich rede nicht gerne drüber. Aber soviel kann ich sagen, sie haben mich am Ende nicht gekriegt.
Narben von Gummigeschossen
Es ist ein täglicher Spießroutenlauf, erzählt die Yogalehrerin, während sie den weiten Blick über die Felder genießt. Ihr Freund Sina war bei den Protesten nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 dabei, Freunde landeten im Gefängnis, oder wurden getötet. Er selbst hat Gummigeschosse abgekriegt, erzählt er: "Ich habe überhaupt keine Hoffnung, was die Zukunft hier angeht. Damals hab ich versucht was zu ändern und habe dafür einen hohen Preis bezahlt." Sein Körper ist voller Narben von den Gummigeschossen, sagt er.
Auch beruflich wird alles nur schlimmer. Der 32-Jährige ist Tourguide. Aber der Tourismus läuft schon länger nicht mehr gut. Außerdem streicht er Fassaden. Er und sein Kollege haben für eine große Firma im Süden des Iran auf einer Ölplattform gearbeitet. Aber die ist pleite gegangen: "Jetzt müssen wir uns auf kleinere Projekte in unserer Heimatstadt Rascht konzentrieren. Aber zumindest haben wir Arbeit", erzählt er, während er 40 Meter über dem Boden an einem Seil im Klettergurt hängt mit Eimer und Spachtel in der Hand.
Wählen? Lieber nicht
Seine dunklen langen Locken schauen unter dem Helm hervor. Er wirkt entspannt, so weit oben über allem. Sein Material stammt aus dem Ausland. Iranischen Prüfsiegeln vertraut er nicht, wie auch der Politik und den Politikern seines Landes. "Ich habe noch nie gewählt und bereue das auch nicht. Denn es ist immer eine Wahl zwischen schlecht und noch schlechter", sagt er. "Das ist doch keine echte Wahl. Es ist die Strategie der Regierung, die Menschen dazu zu bringen, sich zwischen zwei schlechten Optionen entscheiden zu müssen."
Auch Sarvenaz war noch nie bei einer Wahl und wird auch diesmal nicht hingehen: "Ich habe auch nie das Gefühl gehabt, dem Kandidaten will ich jetzt meine Stimme geben. Wenn man in einer Gesellschaft lebt, die man ablehnt, warum soll man sich dann da einbringen", fragt sie.
Viele Frauen ohne Kopftuch
Der Graben zwischen der iranischen Führung und vor allem vielen jungen Menschen im Land ist tief. Auf den Straßen von Rascht sind ganze Cliquen an Mädchen ohne Kopftuch unterwegs. Vor den Wahlen gebe es weniger Kontrollen, heißt es. Man wolle die Leute milde stimmen, damit sie wählen und damit dem Regime seine Legitimation geben. Sina und Sarvenaz ist das schlicht egal. Sie haben einen Traum: Kanada: "Ich plane auszuwandern und Touren für Kanadier zu organisieren, mit ihnen in den Iran zu reisen und ihnen das Land zu zeigen. Die können sich qualitativ hochwertige Touren noch leisten mit ihren Dollar."
Aber - wenn er nie mehr in den Iran kommt und was anderes macht, ist das auch nicht schlimm, schiebt der 32-Jährige nach. Auch seine Freundin hält hier nichts mehr. "Wir sind hier nicht frei. Wie soll da meine Zukunft hier aussehen? Viele meiner sehr engen Freunde sind schon weg. Ich habe hier nichts mehr."
Ihre Visumsanträge laufen. Das Verfahren verfolgen sie, die Auszählung der Wahl dagegen sicher nicht. Für die beiden ist klar, der neue Präsident des Iran wird nicht ihr Präsident sein.