Vier Kandidaten im Iran Eine Wahl ohne echte Wahl?
Im Iran hat die Präsidentenwahl begonnen. Viele sprechen von einer Inszenierung und wollen sie boykottieren. Nach dem Rückzug zweier Hardliner gibt es noch vier Kandidaten - unter ihnen auch ein moderat-konservativer.
Gut 60 Millionen Iranerinnen und Iraner sind zur Wahl eines Präsidenten aufgerufen. Hintergrund ist der Tod von Präsident Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauberabsturz Mitte Mai. Zwar stehen vier Namen auf dem Stimmzettel - viele sprechen trotzdem von keiner echten Wahl. Der ultrakonservative Wächterrat hatte unter den 80 Bewerberinnen und Bewerbern kräftig ausgesiebt.
Die 19-jährige Teheranerin Lilly darf zum ersten Mal ihren Präsidenten wählen. Und das will sie auch tun. Sie trägt das Kopftuch locker um den Hals und nicht wie vorgeschrieben auf dem Kopf. Die angehende Studentin will dem Ganzen eine Chance geben, sagt sie hoffnungsvoll. Man könne im Land durchaus etwas bewirken.
Ein paar Straßen weiter winkt eine Frau beim Stichwort Wahl ab. Sie trägt das Kopftuch eng um das Gesicht, es ist kein Haar zu sehen. Der Islam der iranischen Führung habe mit ihrem Islam nichts zu tun. Sie halte nichts von "denen da oben", sagt sie.
Tiefer Graben zwischen Führung und Gesellschaft
Andere interessieren sich nicht für die Wahl, wie Sina und seine Freundin Sarvenaz aus Rascht, das in der Nähe zum Kaspischen Meer liegt. Beide sind um die 30 Jahre alt. Auch Sarvenaz trägt das Kopftuch nur als Halstuch. Nur im Auto zieht sie es hoch, um nicht zu riskieren, dass die Polizei das Auto vorübergehend beschlagnahmt - eine der möglichen Strafen bei Kopftuchverstößen.
Heimlich gehen die beiden zusammen früh am Morgen joggen, auch hier riskieren sie, bestraft zu werden. Denn Männer und Frauen dürfen das eigentlich nicht zusammen, erzählt Sina. Sie führen praktisch ein Doppelleben, wie viele vor allem junge Iranerinnen und Iraner.
Es gibt einen tiefen Graben zwischen der islamischen Führung in Teheran und der Gesellschaft. Das junge Paar gehört zusammen mit der gläubigen Muslimin zu einer Gruppe, die bei der Präsidentenwahl eine wichtige Rolle spielen dürfte: die der Nichtwähler.
2021, als Raisi gewann, lag die Wahlbeteiligung schon unter 50 Prozent, bei den Parlamentswahlen in diesem Jahr sogar nur bei knapp über 40 Prozent. Nicht umsonst versucht der Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei die Menschen im Land an die Wahlurnen zu holen, durch Appelle im Staatsfernsehen und auf Wahlplakaten. Das Regime will seine Legitimation aus der Wahl ziehen.
Drei Favoriten unter vier Kandidaten
In diesem Licht dürfte auch die Auswahl der Kandidaten zu sehen sein. Vor drei Jahren, sagen Experten, war die Wahl auf Raisi zugeschnitten. Diesmal gibt es drei Favoriten unter den vier Kandidaten. Zwei der ursprünglich sechs haben zurückgezogen.
Aus dem ultrakonservativen Lager kommt Mohammad-Bagher Ghalibaf, der aktuelle Parlamentssprecher und frühere Bürgermeister von Teheran - und der Kandidat, der den Revolutionsgarden wohl am nächsten steht. Die Revolutionsgarden sind nicht nur eine politische, sondern auch eine wirtschaftliche Macht im Land. Allerdings gibt es gegen den 62-Jährigen massive Korruptionsvorwürfe.
Saeed Jalili gilt als enger Vertrauter des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei, wie eng, darüber gibt es unterschiedliche Spekulationen. Auch der 58-Jährige kommt aus dem ultrakonservativen Lager.
Wie weiter mit dem Atomabkommen?
Manche Beobachter sehen zwischen Jalili und Ghalibaf nur Nuancen in den Unterschieden zwischen ihren Positionen, beim künftigen Kurs gegenüber dem Westen zum Beispiel. Jalili war Chefunterhändler bei den Atomverhandlungen vor dem Abkommen 2015, er galt als Verhinderer. Er scheint seiner Linie treu zu bleiben. Der Iran komme allein klar und die internationalen Sanktionen bremsten die Wirtschaft nicht aus.
Dagegen berichten iranische Oppositionskanäle, dass Berater von Ghalibaf in den vergangenen Wochen Kontakt zu westlichen Diplomaten aufgenommen haben, was dafür sprechen würde, dass er wieder ein Atomabkommen will - vor allem, um die internationalen Sanktionen loszuwerden. Zusammen mit Korruption und Misswirtschaft sehen Experten hier den Hauptgrund für das wirtschaftliche Desaster im Iran. Immer mehr Menschen rutschen in die Armut ab, die Inflation ist horrend, die Währung Rial stürzt immer weiter ab.
Immer wieder gibt es Spekulationen, dass einer der beiden seine Kandidatur zurückzieht, da sie im ultrakonservativen Lager in Konkurrenz zueinander stehen - zugunsten des dritten Favoriten: Massud Peseschkian - ebenfalls ein Konservativer, aber moderat-konservativ. Einerseits kritisiert er, dass die Führung den Kopftuchzwang mit Gewalt durchsetzt. Andererseits präsentiert er sich bei Wahlkampfauftritten mit seiner Tochter, die Tschador trägt, also das lange schwarze Tuch, das nicht nur die Haare, sondern den kompletten Körper verhüllt.
Bloß eine Inszenierung?
Lilly, die junge Erstwählerin will Peseschkian ihre Stimme geben, allerdings weniger aus Überzeugung, sondern mehr aus Mangel an Alternativen, lässt sie durchblicken. Peseschkian zeigt sich dem Westen gegenüber aufgeschlossener. Der 69-Jährige warf beispielsweise Jalili vor, keine Alternative zu Gesprächen mit dem Westen aufzuzeigen.
Diese Haltung hat Peseschkian eine indirekte Rüge von Khamenei eingebracht. In einer Rede sagte der diese Woche: "Es gibt Politiker in unserem Land, die glauben, dass sie vor manchen Mächten kuschen müssen." Sie seien der Meinung, dass Fortschritt nur über Amerika führe. Solche Leute könnten das Land nicht führen.
Viele, die die Wahl boykottieren wollen, sprechen von einer Inszenierung. Der Präsident habe keine Macht, die liege allein beim Obersten Führer. Und keiner der Kandidaten habe das Zeug dazu, daran etwas zu ändern.
Auch Sina und Sarvenaz, das junge Paar aus Rascht, haben keine Hoffnung, dass ein neuer Präsident den Iran aus der internationalen Isolation holt. Die beiden sehen ihre Zukunft außerhalb des Landes, wie so viele junge Iranerinnen und Iraner. Sie wollen einfach nur weg.