Interview zum eskalierenden Konflikt im Kaukasus "Der Westen hat Russland jahrelang verärgert"
So schlecht waren die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Das sei auch die Schuld des Westens, sagt Außen-Experte Teltschik im tagesschau.de-Interview. Denn der Westen habe Russland jahrelang ignoriert. Nun müsse man auf die russische Regierung zugehen.
tagesschau.de: Mit der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland hat der Konflikt um Georgien einen neuen Höhepunkt erreicht. Russland hat damit Fakten geschaffen, die eine Verhandlungslösung für Georgien noch schwieriger machen. Gibt es einen Ausweg?
Horst Teltschik: Das wichtigste ist aus meiner Sicht ist, dass man zunächst die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des restlichen Georgiens sichert - unabhängig von Abchasien und Südossetien. Man muss das Land politisch stabilisieren,den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Demokratisierung vorantreiben. Parallel muss man mit Russland Gespräche führen und versuchen, ob man die Entscheidung über Abchasien und Südossetien noch beeinflussen kann. Außer Russland hat ja bisher niemand diese Staaten anerkannt.
tagesschau.de: Denken Sie, dass es eine Chance gibt, Russland dazu zu bringen, die Anerkennung wieder rückgängig zu machen?
Teltschik: Im Augenblick sicher nicht. Solche Probleme kann man nur lösen, wenn man nach Paketlösungen sucht, die man anbieten kann. Man sollte also darüber nachdenken, ob es in anderen Bereichen oder an anderen Orten Möglichkeiten gibt, die für Russland so interessant und so wichtig sind, dass es bereit wäre, im Falle Georgiens einzulenken.
tagesschau.de: Zum Beispiel?
Teltschik: Man könnte zum Beispiel auf den Vorschlag von Dimitri Medwedjew eingehen, "eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok" zu entwickeln. Das ist eigentlich eine alte Idee, aber Medwedjew hat sie vor kurzem wieder aufgegriffen. Seine Vorschläge sind im Augenblick noch sehr vage, aber sie bedeuten nichts anderes, als das Russland ein Interesse daran hat, seine Sicherheitsbedürfnisse gewahrt zu sehen, auch und gerade von Seiten des Westens. Der Westen sollte jetzt auf Russland zugehen. Ich würde so weit gehen und fragen: Warum greift man den Vorschlag des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton nicht auf, die Russen mittel- oder langfristig in die NATO einzuladen.
Horst Teltschik war außenpolitischer Berater des frühreren Bundeskanzlers Helmut Kohl. Er war maßgeblich an den Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung beteiligt. Von 1999 bis 2008 leitete er die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik.
tagesschau.de: Zurzeit herrscht ein sehr rauer Ton zwischen Russland und dem Westen. Könnte es zu einem kompletten Bruch kommen?
Teltschik: Nein - weil es zu viele gemeinsame Interessen gibt. Das wissen auch die Russen, auch wenn sie es im Moment nicht wahrhaben wollen. Es gibt viele Probleme, die wir nur gemeinsam lösen können, zum Beispiel die Energiefrage, die Konflikte mit Iran und Nordkorea, den Klimawandel oder die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Die Russen brauchen die wirtschaftliche Zusammenarbeit, auch wenn sie sich jetzt anders äußern. Außerdem können wir unsere Sicherheit in der Europäischen Union und in der westlichen Allianz nicht gegen die Sicherheitsinteressen Russlands entwickeln und umgekehrt.
"Man wollte die NATO vorführen"
tagesschau.de: Ist das aggressive Vorgehen Russlands in Georgien der Auftakt zu einer Politik der Rückgewinnung von einstmals sowjetischem Territorium?
Teltschik: Nein. Es geschah zum einen, um den Georgiern die Machtlosigkeit der NATO und der USA vorzuführen. Zum anderen wollte man Georgien schwächen und andere Staaten in dieser Region davor warnen, sich zu einseitig in Richtung Westen zu orientieren.
tagesschau.de: Liegt es nicht auch daran, dass sich Russland gerne wieder als Weltmacht darstellen will?
Teltschik: Es ist natürlich auch Ausdruck des neuen Machtbewusstseins. Eine weitere Ursache ist aber die tiefe Verärgerung darüber, dass Russland schon seit Jahren vergeblich versucht, seine Interessen gegenüber dem Westen zu artikulieren, und mit dem Westen gemeinsame Lösungen zu finden. Putin hat bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Jahren eine lange Liste von Anklagepunkten gegen den Westen vorgelegt. Und mit Ausnahme des Raketenschildes hat der Westen noch nicht einmal reagiert. Auch später nicht: nicht auf die Warnungen Russlands, das Kosovo anzuerkennen, nicht auf die Warnungen, Georgien und die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Der Westen hat nie versucht, Russland wirklich in die Entscheidungen einzubeziehen.
tagesschau.de: Warum nicht?
Teltschik: Die Meinung der Russen ist, dass man sie nicht ernst genommen hat. Das will ich so nicht bestätigen. Aber man hat andere Schwerpunkte gesetzt. Man hat sich mehr um Afghanistan oder den Irak gekümmert und hat in Europa immer nur von den eingefrorenen Konflikten, zum Beispiel in Moldawien, Weißrussland oder dem Balkan gesprochen, ohne etwas zu tun, um diese Konflikte wirklich zu lösen.
"Die Hoffnungen nicht zu hoch schrauben"
tagesschau.de: Am kommenden Montag wird die EU einen Sondergipfel zum Konflikt in Georgien abhalten Was kann die EU tun?
Teltschik: Sie muss erst einmal eine gemeinsame Position entwickeln. Und das wird schwer genug. Momentan neigen die osteuropäischen Länder in der Union eher Georgien zu, während westliche Länder wie Frankreich oder Deutschland traditionell gute Beziehungen zu Russland haben.
tagesschau.de: Man sollte also die Hoffnungen nicht zu hoch schrauben?
Teltschik: Nein, aber es ist sehr gut, dass EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy den Gipfel einberufen hat. Wann, wenn nicht in solchen Situationen, sollten sich die Europäer zusammensetzen und gemeinsame Lösungen entwickeln?
Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de