Interview zur Anerkennung abtrünniger Regionen Zwei Kosovo im Kaukasus?
Die deutsche Regierung ist empört über die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland. Dabei erkannte Deutschland wie viele andere westliche Länder, im Februar das Kosovo an - gegen den erklärten Willen Russlands. Wo liegt der Unterschied? tagesschau.de sprach darüber mit dem Völkerrechtler Luchterhandt.
tagesschau.de: Russland hat Südossetien und Abchasien offiziell anerkannt. Was halten Sie von diesem Schritt?
Otto Luchterhandt: Die Anerkennung ist eine souveräne Entscheidung Russlands. Ob ein Staat ein anderes Gebilde als Staat anerkennt, ist einzig und allein seine Entscheidung. Und wenn Russland der Auffassung ist, dass Südossetien und Abchasien staatsfähig sind, dann muss Russland das verantworten. Ich sehe dabei allerdings einen qualitativen Unterschied zwischen der Anerkennung Südossetiens und der Abchasiens. Ich habe Verständnis dafür, dass Russland Abchasien anerkennt. Da ist die Situation vergleichbar zum Beispiel mit der Lage im Kosovo. Aber im Falle Südossetiens halte ich eine Anerkennung für ungerechtfertigt bzw. für einen völkerrechtswidrigen Schritt.
tagesschau.de: Stichwort Kosovo: Viele westliche Länder - darunter auch Deutschland - haben das Kosovo im Februar dieses Jahres anerkannt - gegen den ausdrücklichen Willen Russlands. Jetzt ist der Westen empört über den russischen Schritt. Wo liegen die Unterschiede zwischen dem Kosovo auf der einen und Südossetien bzw. Abchasien auf der anderen Seite?
Luchterhandt: Die Frage, die man aus völkerrechtlicher Sicht beantworten muss, ist, ob es sich bei Kosovo, Südossetien und Abchasien um Staaten handelt. Dafür gibt es drei Kriterien: Es muss ein Staatsgebiet vorhanden sein, ein Staatsvolk und eine effiziente Staatsgewalt. Beim Kosovo ist die Frage der Staatsgewalt problematisch, weil die UN-Verwaltung im Kosovo eine Art Oberherrschaft ausübt. Insofern kann man sagen, dass das Kosovo nicht die volle Staatsgewalt hat und damit eigentlich auch kein Staat ist. Deswegen ist die Anerkennung des Kosovo auch problematisch.
tagesschau.de: Dann war es also völkerrechtlich nicht korrekt, dass viele westliche Staaten das Kosovo anerkannt haben?
Luchterhandt: Das kann man so sehen. Aber das Völkerrecht ist hier nicht völlig eindeutig. In gewisser Weise ist die Staatlichkeit des Kosovo ja durchaus gegeben. Sie haben eine staatliche Struktur und Organisation, auch wenn die durch die UN-Verwaltung eingeschränkt ist. Das Kosovo hat außerdem zwischen 1988 und 1998 eine Quasi-Staatlichkeit gegen das Regime von Slobodan Milosevic in Belgrad aufrechterhalten, und zwar über lange Zeit äußerst friedlich. Die Anerkennung des Staates Kosovo ist daher auch eine Anerkennung dieses Kampfes für Selbstbestimmung. Aus meiner persönlichen Sicht ist der Schritt vieler westlicher Staaten, das Kosovo anzuerkennen daher nicht völkerrechtswidrig.
tagesschau.de: Zurück zu Abchasien und Südossetien. Handelt es sich bei diesen beiden Gebilden im völkerrechtlichen Sinn um Staaten?
Luchterhandt: Bei Abchasien kann man sich ebenfalls darüber streiten, ob es sich um einen Staat handelt. Hier ist die UNO - ähnlich wie im Kosovo - auch präsent, aber es gibt keine UN-Verwaltung, sondern nur eine UN-Beobachtermission. Außerdem gibt es in Abstimmung mit der UNO eine russische Peace-keeping-Truppe. Beide schränken die Souveränität Abchasiens aber nicht unbedingt ein. Im Falle Abchasiens würde ich sagen, dass die Kriterien der Staatlichkeit erfüllt sind.
Bei Südossetien habe ich dagegen größte Zweifel, weil die russische Präsenz in Südossetien übermächtig ist. Man kann also nicht von einer eigenen Staatsgewalt sprechen. Außerdem liegen in Südossetien eine Reihe von georgisch besiedelten Dörfern, so dass man auch nicht von einem einheitlichen Staatsvolk sprechen kann. Von staatlichen Verhältnissen kann in Südossetien also bei Licht betrachtet keine Rede sein.
tagesschau.de: Gibt es im Völkerrecht das Recht auf Abspaltung?
Luchterhandt: Das gibt es unter ganz engen Voraussetzungen. Es besteht dann, wenn es einer Volksgruppe nicht mehr zuzumuten ist, in den Grenzen und unter der Regierung des bisherigen Staates weiter zu leben. Im Falle Abchasiens sehe ich sehr gewichtige Argumente, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, im Falle Südossetiens nicht.
tagesschau.de: Warum könnte Abchasien dieses Recht für sich in Anspruch nehmen?
Luchterhandt: Abchasien ist im Juli 1992 von georgischen Milizen überfallen worden. Die 250.000 Georgier, die damals auf dem Gebiet Abchasiens lebten, versuchten die Milizen zu unterstützen und fielen über ihre Nachbarn her. Sie begingen erhebliche Kriegsverbrechen. Deswegen flohen die Georgier auch aus Abchasien, weil sie Rache fürchten mussten. Das Vertrauen der Abchasen in die Georgier ist im Zuge dieses Konflikts aufs schwerste erschüttert worden. Die Grundlage für ein weiteres Zusammenleben der Völker existiert praktisch nicht mehr. Eine ähnliche Situation hat sich im Kosovo während der Herrschaft von Slobodan Milosevic abgespielt. Der UN-Sicherheitsrat stellte 1998, sogar mit der Stimme Russlands, definitiv fest, dass das Regime Milosevic einen Friedensbruch verübt hatte, indem es Hunderttausende Kosovaren vertrieben und umbrachte, also "ethnische Säuberungen" verübte. Solche Situationen hat es in Südossetien dagegen zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de