Interview zur Lage im Iran "Randalemacher kommen nicht aus der Opposition"
Der Sprecher des iranischen Oppositionsführes Mussawi hat sich in einem Interview mit Tagesschau-Redakteuerin Marjan Parvand selbst überrascht gezeigt von dem Ausmaß der Demonstrationen. Er betonte, die Randalemacher kämen nicht aus der Opposition. Es gebe Anzeichen dafür, dass die Regierung die Randale sogar befürworte. Sein Name darf aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden.
Marjan Parvand: Eine große Anzahl Ihrer Weggefährten sind momentan im Gefängnis. Die Regierung spricht von 649 Menschen. Können Sie diese Zahl bestätigen und können Sie uns etwas über den Zustand der Gefangenen sagen?
Sprecher von Hussein Mussawi: In Teheran gibt es deutlich weniger als 649 Gefangene. Die Zahl könnte sich auf alle Gefangenen landesweit beziehen. Darunter sind sehr wichtige politische Persönlichkeiten in Teheran. Entweder waren es Leute, die Chatami oder Mussawi nahe standen. Viele gehörten zu Organisationen, die mit Herrn Mussawi zusammengearbeitet haben und landesweit aktiv waren. Aber es sind auch Gefangene, die anderen politischen Bewegungen angehören, wie zum Beispiel Anhänger der Mujahedin oder Gewerkschaftsmitglieder. Wiederum andere standen dem Reformkandidaten Karoubi nahe. Sie sind bei Demonstrationen festgenommen. Wir haben keinerlei Informationen über sie.
Es gibt keine genaue Zahl darüber, wer alles verhaftet worden ist. Ihre Anwälte haben keinerlei Möglichkeit Kontakt mit den Gefangenen aufzunehmen. Mussawi versucht den Gefangenen und ihren Familien über seine Organisation beizustehen. Aber der Informationsfluss, was wirklich genau mit den Gefangenen los ist, kommt sehr sehr langsam, sozusagen in kleinen Tröpfchen. Diese Gefangennahmen werden nicht von allen Teilen des iranischen Militärs gewollt. Es sind Teile der Pasdaran und des Informationsministeriums, die diese Festnahmen vorantreiben.
Parvand: Ist der Wahlkampfmanager von Mussawi, Behzadian, ebenfalls im Gefängnis?
Mussawis Sprecher: Bis zu diesem Moment kann ich das nicht bestätigen.
Parvand: Es ist extrem schwierig, momentan an verifizierbare Informationen aus dem Iran zu kommen. Können Sie uns die derzeitige Situation im Land beschreiben?
Mussawis Sprecher: In den großen Städten - Isfhan, Shiraz, Mashad - gibt es eine so große Militärpräsenz, dass jegliche Art von Protest oder Demonstration dort erstickt wird. Was allerdings Teheran angeht, ist die Situation schwierig. Hier kündigen irgendwelche Leute via Internet immer wieder irgendwelche Demonstrationen an: mal heißt es vor dem Parlament, mal heißt es woanders. Dann gehen da Leute hin, und gleichzeitig ist eine noch größere Zahl von Militär dort vor Ort. Die einzige wirklich wichtige Art des Protests ist, dass momentan Menschen nachts auf die Dächer gehen und "Gott ist groß" rufen. Zwischen diesen Gott ist Groß-Rufen gibt es dann auch immer mal etwas deutlichere Ausrufe gegen das Regime!
Parvand: Sie haben eine äußerst schwierige Situation beschrieben, in der jetzt Mussawis Anhänger sind. War das nicht vorhersehbar? Hat Mussawi seine Macht innerhalb des iranischen Machtapparates vielleicht überschätzt?
Mussawis Sprecher: Wir haben diese Ereignisse nicht vorhergesehen und auch falsch eingeschätzt, da bin ich mit Ihnen einer Meinung. Sie müssen allerdings auch bedenken, dass es im Iran gar nicht die Strukturen gibt, die eine richtige Oppositionsbewegung braucht.
Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir bei der Wahl so betrogen werden, und danach sind die Menschen in Massen auf die Straßen geströmt, nach langer Zeit mal wieder. Auch das hat uns überwältigt.
Uns sind teilweise unsere Internetverbindungen gekappt worden. Sie müssen sich das vorstellen: Facebook, youtube funktionieren nicht mehr im Iran und auch die Satellitenverbindungen funktionieren nicht mehr. Sie werden durch Viren immer wieder unterbrochen. Die gesamte Informationsvermittlung ist unterbrochen worden, so dass teilweise die Nachrichten und Botschaften, die Mussawi an seine Anhänger schicken wollte, nicht durchgekommen sind. Wir haben damit nicht gerechnet.
Parvand: Gleichzeitig ist diese Bewegung in eine Sackgasse geraten. Was ist der nächste Schritt von Herrn Mussawi?
Mussawis Sprecher: Es finden Demonstrationen auf der Straße statt und gleichzeitig gibt es keine Genehmigungen. Bei diesen Demonstrationen gibt es tatsächlich Randalemacher. Sie gehören aber nicht offiziell zu den Reihen der Bewegung von Mussawi. Es gibt Anzeichen dafür, dass einige dieser Randale tatsächlich von der Regierung befürwortet wird, weil sie dann die Atmosphäre der Überwachung und Unsicherheit herstellen können. Sie können so die Menschen in Angst versetzen. Noch einmal: Diese Randalemacher haben nichts mit Mussawi oder Karoubi zu tun.
Parvand: Heißt das, dass die Regierung selbst solche Kräfte schickt, die für Unruhe sorgen?
Mussawis Sprecher: Das kann ich offiziell nicht bestätigen, aber ich kann Ihnen sagen, dass es eine Gruppe von Menschen im Iran gibt, die sich wundert. Sie wundert sich darüber, wie es denn sein kann, dass es über mehrere Tage hinweg friedliche Demonstrationen gibt, die noch nicht einmal irgendwelche Protestrufe aussprechen, sondern einfach schweigend gehen. Und dann gibt es, sobald diese Demonstrationen aufhören und die Menschen nach Hause gehen, Kämpfe und Straßenschlachten - wieso? Die Oppositionsbewegung im Iran ist nicht gewaltsam und wird immer davon absehen.
Das Interview führte Tagesschau-Redakteurin Marjan Parvand