Vor Doping-Bericht zu Russland "Der Sport kann nicht sauber werden"
Der Vorwurf: Russland soll seine Athleten vor den Spielen in Sotschi mit Doping vorbereitet und dann Testergebnisse vertuscht haben. Stimmt dies, könnte Russland komplett für Rio gesperrt werden. tagesschau.de hat mit dem ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt gesprochen.
tagesschau.de: Die Welt-Doping-Agentur (WADA) will am Montag einen Bericht vorlegen. Um welche Vorwürfe geht es dabei?
Hajo Seppelt: Die WADA prüft die Vorwürfe von Grigory Rodschenkow, dem ehemaligen Chef des Moskauer Doping-Kontroll-Labors, der über Machenschaften im Vorfeld und während der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 in einem Artikel der "New York Times" aus dem Mai berichtet hat. Sollten diese Vorwürfe stimmen, dann hat es eine generalstabsmäßige Vorbereitung russischer Wintersportler mit Doping und eine Vertuschung von deren positiven oder auffälligen Testergebnissen währen der Spiele gegeben - und dies laut Rodschenkow mit Unterstützung des russischen Inland-Geheimdienstes FSB.
Außerdem hat die Kommission den Auftrag gehabt, zu schauen, ob es weitere Verdachtsmomente zu staatlich gelenktem, gestütztem oder gefördertem Doping auch in anderen Sportarten gegeben hat.
tagesschau.de: Was erwarten Sie für ein Ergebnis von dem Report der WADA?
Seppelt: Nach meinem Eindruck und anhand dessen, was ich durch Gespräche mit Leuten aus gut unterrichteten Kreisen entnommen habe, ist zu befürchten, dass sich ein Großteil der Anschuldigungen von Rodschenkow bewahrheitet und überdies auch noch weitere Sportarten betroffen sein könnten. Nicht nur Wintersportarten, womöglich auch Sportarten, die bei Sommerspielen wie in Rio zur Austragung kommen.
tagesschau.de: Welche Sportarten könnten davon betroffen sein?
Seppelt: Das ist mir nicht bekannt.
tagesschau.de: Es wird über einen kompletten Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen in Rio diskutiert, sollte der Report diese Vorwürfe belegen. Halten Sie das für möglich?
Seppelt: Ich halte es für sehr denkbar, dass der Druck auf den organisierten Sport, insbesondere auf das Internationale Olympische Komitee (IOC), dann noch viel größer wird und dass IOC-Präsident Thomas Bach zum Handeln gezwungen werden könnte. Dass man versuchen wird, Bach unter Druck zu setzen, zeichnet sich schon ab. Er hat im Gegenzug bereits in den vergangenen Wochen offenkundig Strategien durchgespielt und an Nachrichtenagenturen und an ihm wohlgesonnenere Journalisten geleakt, dass für ihn ein Ausschluss Russlands nicht infrage käme.
Allerdings steckt Bach in der Falle - so wie noch nie in seiner Amtszeit seit 2013: Wenn es hier um den institutionellen Eingriff in die Integrität des sportlichen Wettbewerbes geht, kann er eigentlich nicht bei seiner Auffassung bleiben, dass nur einzelne Sportler oder einzelne Sportarten die Schuldigen sind. Sollte sich bewahrheiten, dass die Politik eines Landes massiv in die Integrität des Wettbewerbs unmittelbar eingreift, bleiben eigentlich nur drastische Konsequenzen übrig.
tagesschau.de: Und eine drastische Maßnahme wäre eben der Ausschluss aller russischen Athleten von den Olympischen Spielen?
Seppelt: Das wäre die drastischste Maßnahme, die man sich überhaupt vorstellen kann. Sporthistorisch beispiellos, deswegen ist auch der Druck im Kessel so groß. Allerdings scheut Bach davor zurück. Es ist ja kein Geheimnis, dass er Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin sehr wohlgesonnen gegenübersteht.
Herrn Bach ist es stets besonders wichtig, mit den Großen der Welt auf Augenhöhe zu sein. Er hat immer mal wieder geschwiegen oder wenig gesagt, wenn einflussreiche politische Kreise in kritisch zu beäugenden politischen Systemen die Sportentwicklung für ihre Zwecke beeinflussen wollten - sei es in China oder in Russland.
tagesschau.de: Sie haben gerade von Strategien gesprochen, von denen Bach in den vergangen Wochen gesprochen hat. Um welche geht es da?
Seppelt: Er hat schon zu erkennen gegeben, dass man ja nur einzelne Sportarten oder Individuen, aber nicht ein ganzes Land sperren sollte. Er hat wiederholt gesagt, dass man einzelne Athleten nicht für das Fehlverhalten eines gesamten Verbandes verantwortlich machen kann. Damit lenkt er aber von der Tatsache ab, dass zum Beispiel der russische Leichtathletik-Verband und die russische Anti-Doping-Agentur seit Jahren offensichtlich nicht dafür garantieren konnten, dass die Athleten in seinem Einflussbereich sauber sind. Denn die Systeme waren nachweislich korrupt.
So wurde der Welt-Anti-Doping-Code ad absurdum geführt. Wenn Sportsysteme das Dopingkontrollsystem korrumpieren und somit Athleten nicht so gut wie möglich kontrolliert werden, sondern quasi das Gegenteil passiert: Wie soll man dann garantieren können, dass saubere Athleten an den Start gehen? Ein korrumpierter Dopingtest hat keine Aussagekraft. Der russische Sport hat jahrelang mit etlichen seiner Athleten dazu beigetragen, dass Sportler anderer Länder um Siege und Medaillen gebracht wurden. Manche Medaillenspiegel sportlicher Großereignisse waren nur ein Abbild des Betrugs. Politisch gesteuerter Sportbetrug - um diesen Vorwurf geht es.
Warum Herr Bach trotzdem glaubt, den Russen entgegenkommen zu müssen, während er beispielsweise bei den von Olympia ebenso wegen Dopings gesperrten bulgarischen Gewichthebern nicht so viel Aktionismus und Verständnis zeigte, bleibt sein Geheimnis.
tagesschau.de: Sollten sich die Vorwürfe im Report der WADA bewahrheiten, welche Konsequenzen müssten Ihrer Meinung nach folgen?
Seppelt: Wenn der Weltsport sich immer damit rühmt, beim Doping eine Null-Toleranz-Politik zu betreiben - allen voran Thomas Bach -, und es dann ein Doping von womöglich gigantischem Ausmaß und vom Staat unterstützt gegeben haben sollte und man Herrn Bach an seinen eigenen Worten messen will, dann ist ja wohl klar, dass eine der Konsequenzen wäre, über einen Olympia-Ausschluss Russlands nachzudenken.
Der Weltsport hatte bisher immer das Problem, in entscheidenden Situationen häufig nicht konsequent gehandelt zu haben. Wenn wieder Partikularinteressen über konsequentem Handeln stehen, verliert der Sport seine Glaubwürdigkeit noch mehr.
tagesschau.de: WADA-Chef Craig Reedie spricht davon, dass der Bericht "uns die Möglichkeit zu einem kollektiven Einsatz zur Säuberung des Sports" gebe. Glauben Sie, dass Sport sauber werden kann?
Seppelt: Der Sport wird nie sauber werden. Sauberkeit ist eine schöne Illusion. Sie glauben ja auch nicht, dass es eine Gesellschaft ohne Betrug oder einen Straßenverkehr ohne Leute geben wird, die bei Rot über die Ampel fahren. Es wird keinen reinen Sport geben, genauso wie es nie eine "saubere" Gesellschaft geben wird. Die Frage ist, in welchem Ausmaß Sportverbände es zulassen, dass der Sport in seinen Werten zerstört wird.
Das Interview führte Julia Schumacher für tagesschau.de