Subhas Chandra Bose Indiens neuer Nationalheld von Modis Gnaden
Subhas Chandra Bose wollte Indiens Unabhängigkeit mit Gewalt erreichen. Er überwarf sich mit Gandhi, paktierte mit Hitler. Heute will Premier Modi ihn zur nationalen Heldenfigur machen.
Langsam schiebt sich der rote Vorhang zur Seite und enthüllt seine Statue: Subhas Chandra Bose, Kämpfer für die indische Unabhängigkeit. Über acht Meter hoch, aus schwarzem Granit. Die zweieinhalb Kilometer lange Prachtstraße zwischen Präsidentenpalast und Triumphbogen in Neu-Delhi ist an diesem Septemberabend im vergangenen Jahr festlich beleuchtet. Die Botschaft: Indien will seine koloniale Vergangenheit hinter sich lassen - 75 Jahre nach der Unabhängigkeit. In seiner Rede spricht Premierminister Narendra Modi von Bose als dem "nationalen Führer": "Zur Zeit der Sklaverei stand dort eine Statue des Vertreters der britischen Herrschaft. Heute hat das Land mit der Aufstellung der Statue am selben Ort auch das Leben eines modernen und starken Indiens begründet."
Nach Ansicht von Modi hat Indien zu lange diesen großen Helden der Unabhängigkeit ignoriert - ein Seitenhieb auf die Opposition, die Kongress-Partei. Die hielt jahrzehntelang vor allem das Vermächtnis von Mahatma Gandhi in Ehren und dessen Vision von zivilem Ungehorsam und gewaltfreiem Protest. Subhas Chandra Bose hingegen sah im Kampf gegen die britische Kolonialmacht Gewalt als Mittel der Wahl an.
Bose trifft Hitler und gründet ein Freikorps
Bose wird 1897 südlich von Kalkutta, heute Kolkata, geboren. Nach dem Willen seines Vaters soll er eine Laufbahn im Indian Civil Service anstreben, dem höheren Verwaltungsdienst von Britisch-Indien. Doch Bose hat andere Pläne. Mit 24 Jahren schließt er sich der Bewegung für die Unabhängigkeit Indiens an: Sie wird angeführt von Mahatma Gandhi und dem Indischen Nationalkongress. Schnell steigt Bose auf. Er gilt als radikal, fordert vehement die sofortige Souveränität für Indien, zur Not auch mit Gewalt - damit tritt er in Opposition zu Gandhi.
Anfang der 1930er Jahre reist Bose nach Europa und versucht, einflussreiche Politiker von der Idee der indischen Unabhängigkeit zu überzeugen. In Wien schreibt er an seinem Buch "Der Indische Kampf" mit Hilfe einer Assistentin Emilie Schenkl. Sie werden ein Paar und heiraten 1937.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs verpflichten die Briten auch indische Soldaten für den Kampf. Bose ist zurück in Indien und organisiert einen Massenprotest. Er wird verhaftet. Nach einem Hungerstreik stellen die Briten ihn unter Hausarrest im Wohnhaus seiner Familie. Von dort kann er heimlich entkommen. Seine Flucht führt ihn nach Berlin.
Im Mai 1942 gelingt es Bose, ein Treffen mit Adolf Hitler zu arrangieren. Inzwischen sind Tausende indische Soldaten, die für die Briten gekämpft haben, in deutscher Gefangenschaft in einem Lager in Annaburg, südlich von Berlin. Hitler willigt ein, dass Bose mit diesen indischen Soldaten ein Freiwilligenkorps gründet: die "Legion Freies Indien".
Anita Bose Pfaff vor einem Porträt ihres Vaters: Sie verteidigt seine Verbrüderung mit europäischen Faschisten.
Tod in Taiwan mit 48 Jahren
Anita Bose Pfaff ist die Tochter von Bose und seiner Frau Emilie Schenkl. Die emeritierte Professorin lebt in Augsburg. Sie ist SPD-Mitglied. Ihr Mann saß für die Sozialdemokraten jahrelang im Bundestag. Wie bewertet sie die Nähe ihres Vaters zu faschistischen Führern wie Hitler und auch Mussolini? Ihr Vater habe keine andere Wahl gehabt, als sich mit den Gegnern Englands zu verbünden, sagt Bose Pfaff: "Gandhi hatte das 'Quit India Movement' ausgerufen. Die ganze Führung saß im Gefängnis. Es ging nichts weiter mit dem Unabhängigkeitskampf."
Als die Deutschen in Russland einmarschieren, kann Bose keine Unterstützung mehr von ihnen erwarten. Doch die Deutschen sichern Bose zu, ihn von Kiel aus an Bord eines U-Bootes durch das feindliche Gewässer in Richtung des verbündeten Japan zu bringen. In Singapur wird Bose schließlich im Juli 1943 Kommandant der indischen Nationalarmee. Denn dort waren mehr als 40.000 indische Soldaten in japanische Gefangenschaft geraten. Die neugegründete indische Armee marschiert Richtung Indien. Doch im April 1945 nehmen die Briten viele Soldaten gefangen.
Im August des selben Jahres werfen die Amerikaner die Atombomben über Japan ab. Zwei Tage nach der Kapitulation Japans steigt Bose in ein Flugzeug Richtung Tokio - mit Zwischenlandung in Taiwan. Dort stürzt das Flugzeug nach dem erneuten Start ab. Bose stirbt mit 48 Jahren in einem Militärkrankenhaus von Taipei an seinen Brandverletzungen.
Boses Grossneffe Sugata Bose ist Geschichtsprofessor in Harvard. Er sieht die Instrumentalisierung seines Großonkels in der Gegenwart kritisch.
Verwandte sehen Instrumentalisierung kritisch
Unter seinen Anhängern in der indischen Nationalarmee machen sich Verschwörungstheorien breit, ob er nicht doch überlebt habe. Manche vermuten, dass Indiens Premierminister Modi das Mysterium um Bose mit Absicht aufrechterhält. Ihm und seiner hindu-nationalistischen Partei, der BJP, wird immer wieder vorgeworfen, das Land zu spalten, Diskriminierungen gerade gegen die muslimische Minderheit zuzulassen. Sie streben die "Hindutva" an, eine Nation vor allem für Hindus.
Boses Tochter Anita bewertet es positiv, dass Modi ihrem Vater in Form der Statue mitten in Neu-Delhi ein Andenken gesetzt hat: Schließlich habe sich Bose für die Unabhängigkeit Indiens sehr eingesetzt. "Was ich nicht zu sehr mag, ist, dass er damit auch instrumentalisiert wird, was manche anderen politischen Themen angeht. Also, mein Vater war sicher in seiner ganzen politischen Ausrichtung nicht auf einer Linie, die die BJP hat. Ja, stolz auf Indien. Aber mein Vater, was viele auch nicht so sehr wussten: Er war ein linker Politiker."
Dass Bose sich in seiner Vision eines freien Indiens auch für ein friedliches Miteinander der Religionen und die Gleichstellung von Männern und Frauen einsetzte, ist weitestgehend unbekannt. Sein Großneffe Sugata Bose, Geschichtsprofessor in Harvard, bedauert das sehr. Gleichzeitig befürchtet er, "dass das derzeitige Regime hauptsächlich seinen militärischen Heldenmut betont: Sie tun nicht genug, um die Verbreitung eines Giftes, nämlich des religiösen Hasses, zu stoppen", sagt er. Er ist sicher, dass Subhas Chandra Bose darüber sehr bestürzt gewesen wäre.