Griechenland Zugunglück offenbart "jahrelanges Versagen"
Nach der Zugkollision mit 57 Toten in Griechenland hat ein Bahnmitarbeiter die Verantwortung dafür übernommen. Die Regierung spricht von "menschlichen Fehlern", ihr Sprecher aber auch von staatlichem Versagen. Das Unglück wird zum Politikum.
Die Bergungsarbeiten nach dem schweren Zugunglück in Griechenland gehen weiter. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch waren auf der wichtigsten Strecke des Landes, Athen - Thessaloniki, zwei Züge frontal zusammengeprallt. Einer davon: ein Intercity mit rund 350 Menschen an Bord, der andere - ein Güterzug.
Die Zahl der Todesopfer ist bis Donnerstagabend weiter nach oben korrigiert worden, auf 57. Mehrere Personen werden immer noch vermisst - wie viele genau, darüber gibt es von den Behörden keine Angaben. Vor den Krankenhäusern etwa in der Stadt Larissa, in der Verletzte behandelt und Leichen identifiziert werden, warten verzweifelte Verwandte auf Neuigkeiten. Die Identifizierung muss teilweise mittels DNA-Test erfolgen. Bei dem heftigen Aufprall der beiden Züge war Feuer ausgebrochen, deshalb sind auch Brandopfer dabei.
Rettungseinsatz an der Unglücksstelle setzt sich fort
Nach einem Feiertag waren zum Unglückszeitpunkt viele junge Menschen unter den rund 350 Passagieren. Ein Mann, der eine 24-jährige Frau vermisst, berichtet vor Ort: "Sie ist weder unter den Verletzten noch unter den Toten. Aber sie ziehen immer noch Menschen aus dem Wrack. Auch lebend, aus dem dritten Wagen, in dem sie gesessen hat."
An der Unglücksstelle gehen die Rettungs- und Bergungsarbeiten mit schwerem Gerät weiter. Immer noch wühlen sich Bagger durch völlig verbogene und verkeilte Metallberge. Warum die beiden Züge auf der zweigleisigen Strecke zeitgleich auf einem Gleis unterwegs waren, wird weiter geklärt.
Bahnarbeiter räumt Fehler ein
Es erhärtet sich der Verdacht gegen den zuständigen Bahnmitarbeiter für den Streckenabschnitt, der mutmaßlich falsche Anweisungen gegeben haben könnte. Ein Kollege, der an dem Abend bei ihm war, berichtet: Der Mitarbeiter habe die Züge beide auf die Strecke geschickt und seinen Fehler zu spät bemerkt. Das System selber habe gut funktioniert. "Der Fehler liegt ganz bei ihm. Ein rein menschlicher Fehler", beteuerte der Mitarbeiter.
Regierungssprecher Giannis Economou sagte inzwischen vor Journalisten, der Mann habe "die Verantwortung, die Fahrlässigkeit, den Fehler" eingeräumt. Auch Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sprach in einer Fernsehansprache von einem "tragischen menschlichen Fehler". Regierungssprecher Economou räumte aber auch staatliches Versagen ein. Verzögerungen bei der Modernisierung des griechischen Bahnnetzes seien auf "chronische" Probleme und "jahrzehntelanges Versagen" in der Verwaltung zurückzuführen.
Viele Griechinnen und Griechen sind wütend auf die Regierung. Gestern Abend kam es in Athen zu teilweise gewaltsamen Protesten. Die griechische Eisenbahngewerkschaft übte dabei fundamentale Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen. So gebe es etwa keine funktionierenden digitalen Signale entlang der wichtigsten Zugstrecke Athen-Thessaloniki.
Technische Mängel schon länger bekannt
Auf diese Mängel hatte die Gewerkschaft immer wieder hingewiesen. "Nichts funktioniert. Alles muss manuell erfolgen, auf der gesamten Strecke Athen-Thessaloniki. Es gibt keine funktionierenden Signalanlagen. Würden sie funktionieren, dann könnten die Lokführer die roten Signale sehen und rechtzeitig anhalten", sagte Kostas Genidounias, Präsident der Lokomotivführer in Griechenland
Auch moderne Not-Bremssysteme würden fehlen, obwohl die EU-Kommission schon seit Jahren von allen Mitgliedsländern genau solche Sicherheitssysteme fordert und auch Geld dafür bereitgestellt hat. Die zuständigen Behörden in Griechenland seien dem aber nicht nachgekommen. Stattdessen hatte Griechenlands Verkehrsminister Kostas Kostas Karamanlis, der inzwischen zurückgetreten ist, noch vor zehn Tagen auf Kritik aus der Opposition reagiert: Es sei eine Schande, dass man "die Sicherheit in Frage stellen" würde.
Regierung in Bedrängnis
Auch die für das Bahnnetz zuständigen Chefs der staatlichen Behörden sind bereits zurückgetreten. Doch damit hört der Ärger für die Regierung nicht auf: Heute streikt die griechische Eisenbahngewerkschaft, um noch einmal auf die eklatanten Sicherheitsmängel aufmerksam zu machen. Athens U-Bahn-Mitarbeiter haben sich angeschlossen, sie berichten von ähnlichen Sicherheitsproblemen.
Für den Abend sind in der Hauptstadt Athen weitere Proteste angekündigt. Das Unglück wird wohl auch Auswirkungen auf die anstehende Parlamentswahl in Griechenland haben. Diese war ursprünglich für Anfang April angedacht und könnte jetzt wohl auf Mai oder gar Juli verschoben werden.
Manche Beobachter glauben: Das Unglück könnte zu einem zweiten Mati werden. 2018 waren in dem Ort vor den Toren Athens verheerende Brände ausgebrochen, es gab 100 Tote. Die jetzige Oppositionspartei Syriza verlor daraufhin die anschließende Wahl.