Fragen und Antworten zur Wahl Für den Sieger gibt es 50 Sitze extra
Europa schaut am Sonntag auf Griechenland: Gewinnt Alexis Tsipras mit seinem Linksbündnis die Wahl? Und wenn ja, ist er auf Koalitionspartner angewiesen? tagesschau.de beantwortet Fragen zur Wahl, vom Siegerbonus bis zum letzten Stand der Umfragen.
Wer darf wählen?
9,8 Millionen Menschen sind wahlberechtigt. Die Wahllokale sind am Sonntag von 6.00 bis 18.00 Uhr MEZ geöffnet. Prinzipiell herrscht in Griechenland Wahlpflicht. Verstöße dagegen werden aber seit 2001 nicht mehr geahndet. Bei der letzten Wahl 2012 stimmten nur rund zwei Drittel der Wahlberechtigten ab. Bei den Wahlen am Sonntag ist ein Fünftel der 9,8 Millionen Wahlberechtigten 71 Jahre oder älter, also insgesamt etwa 2,2 Millionen Männer und Frauen. Die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen umfasst 1,4 Millionen Menschen, unter ihnen sind mehr als 224.000 Erstwähler.
Wie wird das neue Parlament gewählt - und welche Besonderheiten gibt es im Wahlrecht?
Das griechische Parlament setzt sich aus 300 Abgeordneten zusammen. 250 der 300 Sitze werden in einfacher Verhältniswahl vergeben. Es gilt eine Drei-Prozent-Hürde. Die stärkste Partei erhält einen Zuschlag von 50 Sitzen. Damit sollen die Chancen erhöht werden, dass eine starke Regierung gebildet werden kann.
Sollte dennoch keine Partei die absolute Mehrheit erreichen, ist ein mehrtägiges Verfahren zur Bildung einer Koalition vorgesehen: Der Staatspräsident beauftragt den Chef der stärksten Partei damit, die Chancen zur Bildung einer Koalitionsregierung auszuloten. Den Parteien bleibt nicht viel Zeit, das Mandat gilt für drei Tage.
Scheitert die erste Sondierung, erhält der Vorsitzende der zweitstärksten Partei das Mandat. Sollte auch diese Bemühung scheitern, ist die drittstärkste Partei am Zuge. Führt dies zu keinem Ergebnis, ruft der Präsident alle Parteivorsitzenden zu einer letzten Gesprächsrunde zusammen. Bleibt auch dies erfolglos, wird das Parlament aufgelöst, binnen 30 Tagen werden dann Neuwahlen angesetzt.
Im Jahr 2012 war genau dieser Fall eingetreten. Nach der Parlamentswahl im Mai waren alle Versuche, eine Regierung zu bilden, gescheitert. Daraufhin mussten die Griechen im Juni 2012 erneut wählen. Aus dieser Wahl ging eine Koalitionsregierung dreier Partner hervor: Die konservative Nea Dimokratia (ND), die Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok) und die Demokratische Linke (DHMAR) schlossen sich zusammen.
Die ND stellt seitdem mit Antonis Samaras den Ministerpräsidenten. Die DHMAR schied Mitte 2013 aus dem Bündnis aus, um gegen die Schließung des öffentlich-rechtlichen Senders ERT durch Premier Samaras zu protestieren.
Welche Parteien treten an?
Insgesamt treten 22 Parteien und Parteibündnisse an. Die acht folgenden Parteien können Umfragen zufolge mit den meisten Stimmen rechnen.
Nea Dimokratia (ND): Die von Antonis Samaras geführte konservative Partei hat Griechenland 1981 in die damalige Europäische Gemeinschaft geführt. Sie spricht sich vehement für den Verbleib des Landes in der Eurozone aus. Samaras, seit 2012 Premier des Landes, hält grundsätzlich am Sparprogramm fest, tritt aber angesichts der prekären Lage vieler Griechen für eine Lockerung ein. Im Fall der Wiederwahl will er keine neuen Schulden machen und das Land mit Hilfe eines Übergangsprogramms in die Lage versetzen, sich von den Märkten wieder Geld zu leihen.
Bündnis der radikalen Linken (Syriza): Die Partei von Alexis Tsipras Syriza ist ein Sammelbecken linker Bewegungen, aber auch ein politisches Dach für ehemalige Mitglieder der sozialistischen Pasok. Syriza fordert einen Schuldenschnitt und will die Privatisierungen stoppen, ist zugleich aber für den Verbleib Griechenlands in der EU und in der Eurozone. Tsipras möchte nach einem möglichen Wahlsieg neue Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern über die seiner Ansicht nach zu strikten Reformauflagen erreichen. Seine Partei hat in den vergangenen Jahren enormen Zuspruch erhalten. 2009 lag sie noch bei 4,6 Prozent. Bei der Wahl 2012 erreichte sie 26,9 Prozent - und kam damit auf Platz zwei hinter der ND.
Der Fluss (To Potami): Demoskopen sehen die vergangenes Jahr gegründete neue pro-europäische Partei der politischen Mitte als drittstärkste Kraft im neuen Parlament mit etwa sieben Prozent. In ihren Reihen finden sich zahlreiche Technokraten, Uni-Professoren und Journalisten. Auch ihr Vorsitzender Stavros Theodorakis ist Journalist. Die Partei fordert eine möglichst breite Zusammenarbeit der politischen Kräfte, um aus der Krise herauszukommen. Eine Zukunft für Griechenland sieht die Partei nur in der EU und im Euro.
Goldene Morgenröte (XA): Die rassistische und ausländerfeindliche Partei will alle Migranten aus Griechenland abschieben. Viele ihrer Mitglieder gelten als gewaltbereit. Ihre Führung "ekelt sich" nach den Worten ihres Vorsitzenden Nikolaos Michaloliakos vor dem Parlament. Michaloliakos und fast die gesamte Führung sitzen in Untersuchungshaft. Umfragen sehen die Ultrarechten bei fünf bis sechs Prozent. Sie könnten sogar drittstärkste politische Kraft werden.
Kommunistische Partei Griechenlands (KKE): Die Kommunisten sprechen sich offen für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone und der EU aus. Kein Cent solle an die Gläubiger gezahlt werden. Die Partei liegt in Umfragen bei etwa vier Prozent.
Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok): Die einst mächtige Partei der Sozialisten unter ihrem heutigen Chef Evangelos Venizelos ist im Niedergang begriffen. Die Wahl 2009 hatte sie noch mit rund 44 Prozent gewonnen. Heute wird der Partei mit rund vier Prozent gerade noch der Einzug ins Parlament zugetraut. Die Pasok ist für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Venizelos schließt eine Kooperation mit Syriza nicht aus, sollte das Linksbündnis die absolute Mehrheit verfehlen.
Bewegung der Demokraten und Sozialisten (Kidiso): Die Partei wurde Anfang des Jahres vom ehemaligen Pasok-Präsidenten Giorgos Papandreou gegründet. Der Ex-Regierungschef (2009-2011) trennte sich von der Pasok, die sein Vater Andreas Papandreou 1974 gegründet hatte. Umfragen deuten darauf hin, dass Kidiso den Einzug ins Parlament verpassen könnte.
Unabhängige Griechen (AE): Die Führung der rechtspopulistischen Partei, einer Abspaltung der konservativen Nea Dimokratia, sieht das Land "besetzt" von den Geldgebern. Daher müsse Griechenland "befreit" werden. Athen sollte nichts an die Banken zurückzahlen. Laut Umfragen muss die Partei um den Wiedereinzug ins Parlament zittern.
Was sagen die letzten Umfragen?
Letzten Befragungen zufolge liegt das Linksbündnis Syriza von Alexis Tsipras bei rund 33,5 Prozent - und damit etwa sieben Prozentpunkte vor der konservativen ND von Premier Samaras. Als drittstärkste Kraft zeichnet sich die neue pro-europäische Partei der politischen Mitte To Potami (Der Fluss) ab. Sie liegt bei sieben Prozent der Stimmen.
Dicht dahinter folgt die rechtsradikale und rassistische Partei Goldene Morgenröte mit sechs Prozent. Demnach schaffen auch die Kommunisten und die Sozialisten mit 5,5 Prozent beziehungsweise fünf Prozent den Einzug ins Parlament. Zittern müssen die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen. Sie kommen Umfragen zufolge auf 3,5 Prozent. Die neue Bewegung des früheren sozialistischen Regierungschefs Giorgos Papandreou lag abgeschlagen bei 1,5 Prozent.
Was heißt das für die Regierungsbildung?
Ob Syrizas Umfragewerte am Sonntag zu einem Wahlsieg und einer absoluten Mehrheit der Sitze führen, hängt auch davon ab, wie viele der kleinen Parteien den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde schaffen. Je mehr Parteien ins Parlament kommen, desto schwieriger wird es für Syriza - auch mit dem Siegerbonus von 50 Sitzen - eine eigene absolute Mehrheit zu erreichen. Verfehlt Syriza dieses Ziel, ist Parteichef Tsipras auf Koalitionspartner angewiesen.
Als mögliche Partner kämen die Pasok, To Potami - aber trotz ideologischer Differenzen offenbar auch die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen infrage, deren Parteichef eine mögliche Zusammenarbeit angeboten hatte.
Neben Tsipras rechnet sich Premier Samaras von der ND noch Chancen aus, auch künftig die Regierung führen zu können. Allerdings: Für ihn dürfte es deutlich schwerer werden als für Tsipras, Koalitionspartner zu finden. Der derzeitige Partner der Konservativen, die Pasok, liegt Umfragen zufolge weit entfernt von den zwölf Prozent, die die Partei noch 2012 erreicht hatte.
Sie ist zudem geschwächt durch die Parteineugründung ihres einstigen Vorsitzenden, Ex-Premier Papandreou. Darüber hinaus hat Pasok bereits eine Zusammenarbeit mit Tsipras in Aussicht gestellt. Samaras müsste daher mindestens zwei Koalitionspartner finden, was sehr schwierig erscheint.