Griechenland übernimmt EU-Ratsvorsitz Schuldenberg als Top-Qualifikation
Griechenland steckt tief im Schuldenschlamassel. Nun übernimmt das Land den EU-Ratsvorsitz. Die Regierung in Athen sieht sich durch den eigenen Kampf gegen die Krise bestens gerüstet, Europa im kommenden halben Jahr voranzubringen.
Die Minister der griechischen Regierung müssen immer wieder dieselbe Frage beantworten: "Traut ihr Euch überhaupt zu, die EU-Ratspräsidentschaft zu übernehmen, wo doch Griechenland immer noch so tief in der Krise steckt? Wird die Krise in Griechenland nicht alle anderen Themen überdecken, wenn Athen die Ratspräsidentschaft übernimmt?"
"Nein, keine Angst", antwortet dann Vize-Außenminister Dimitris Kourkoulas. "Wir werden eine europäische Präsidentschaft ausrichten, keine griechische", sagt er.
"Wir werden ein ehrlicher Vermittler sein"
Es sei kein Problem, dass die griechische Regierung einerseits die Ratspräsidentschaft inne habe und andererseits über ein neues Hilfspaket für das eigene Land verhandeln müsse. Das werde man gut auseinanderhalten können. "Die Europäische Union ist doch ohnehin eine ständige Verhandlung über alles Mögliche", sagt Kourkoulas. "Wir werden ein ehrlicher Vermittler sein zwischen dem Rat der EU und allen anderen europäischen Institutionen. Wir werden unsere Präsidentschaft nicht für andere Zwecke missbrauchen."
Ministerpräsident Antonis Samaras meint sogar, kein Land sei derzeit besser geeignet für die Präsidentschaft als Griechenland. "Gerade weil wir so tief in eine Krise verwickelt waren, haben wir Erfahrungen gesammelt", betont er. "Jetzt sind wir dabei, die Krise zu überwinden. Wir sind also absolut bereit für die griechische Präsidentschaft." Sein Land habe bewiesen, dass bedeutende Strukturreformen innerhalb Europas möglich seien. "Wir haben die schlimmsten Befürchtungen für Griechenland und für ganz Europa zerstreut. Wir haben bewiesen, dass Europa funktioniert - trotz all der Schwierigkeiten, die diese Krise für alle Bürger mit sich brachte", so Samaras.
Mehr Jobs für junge Menschen
Neue Impulse für Wachstum, neue Arbeitsplätze für junge Menschen vor allem in den südeuropäischen Ländern - darauf legt Griechenland während seiner Ratspräsidentschaft den Schwerpunkt.
Viele Griechen aber haben das Vertrauen in Europa verloren. Sie demonstrieren gegen die Sparpolitik, die ihnen aus Brüssel aufgedrückt wird. so empfinden sie das zumindest. "Europa ist für mich eine Lüge, es existiert nicht", sagt die Studentin Filjo. "Die EU-Politiker unterstützen ja nicht den Durchschnittsbürger Europas, sondern sie haben nur ihre eigenen Visionen. Sie streben nach ihrem eigenen Wohl - und nicht nach dem Wohl der Völker."
Vorwürfe an Merkel-Regierung
Sprachrohr der Europa-Skeptiker ist Oppositionschef Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken. Er wirft den Regierungsmitgliedern vor, dass sie keine Europäer seien, sondern "Merkelisten". "Frau Merkel und Berlin sind die größten Anti-Europäer", so Tsirpas. "Sie stehen fürs Auseinanderbrechen Europas, denn sie sagen: Die Griechen und die anderen Völker im Süden sind faul. Wollen Sie das etwa unterstützen?"
In Umfragen liegt Tsirpas' Partei, das "Bündnis der Radikalen Linken", Kopf an Kopf mit der konservativen "Nea Demokratia" von Ministerpräsident Samaras. Dieser weist die Tiraden des Oppositionschefs als billige Polemik zurück und entgegnet: Ohne die Hilfskredite der anderen Euro-Länder wäre Griechenland untergegangen. Jetzt aber sei das Schlimmste überstanden. Im neuen Jahr werde der Aufschwung beginnen, die Wirtschaft endlich wieder wachsen, es werde neue Arbeitsplätze geben, verspricht der Regierungschef.
Junge Griechen bleiben skeptisch
Viele junge Griechen sind da skeptisch; die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei weit über 50 Prozent. Das einzig Gute an der EU sind deshalb für viele junge Griechen die offenen Grenzen; man kann jederzeit auswandern dorthin, wo es Arbeit gibt. "Klar, die Option halte ich mir offen, gut möglich, dass ich ins Ausland gehe", sagt die 20-jährige Studentin Elsa.
Griechenland will aber während seiner Präsidentschaft alles dafür tun, dass gerade in den südeuropäischen Krisenländern ein besseres Klima für Investoren, für Firmenneugründungen, für neue Arbeitsplätze geschaffen wird. Die griechische EU-Ratspräsidentschaft werde, so verspricht Regierungschef Samaras, "eine Präsidentschaft der Chancen, nicht eine Präsidentschaft der Krise".