Konflikt mit der Türkei Frontex erwartet Zuspitzung an der Grenze
Alarmstufe "hoch" an den EU-Grenzen: Es werde schwierig, die Flüchtlinge zu stoppen, heißt es in einem Frontex-Bericht. Tausende Menschen harren im Grenzgebiet aus, Griechenland setzte erneut Tränengas ein.
Nach Einschätzung der EU-Grenzschutzagentur Frontex wird sich die Lage an der türkisch-griechischen Grenze in den kommenden Tagen stark zuspitzen. Es werde schwierig sein, die Menschen, die sich auf die Reise gemacht haben, zu stoppen, heißt es in einem internen Frontex-Bericht, aus dem die "Welt" zitiert. "Darum ist kurzfristig in den kommenden Tagen noch ein Anstieg des Drucks zu erwarten - auch sogar in dem Fall, dass die türkischen Behörden handeln sollten, um Grenzübertritte zu verhindern", heißt es in dem Bericht.
In dem Frontex-Papier heißt es laut "Welt" weiter: "Nachrichten in den sozialen Medien erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Massenbewegung von der Türkei aus hin zu den EU-Grenzen."
Nach der Ankündigung der Türkei, die Grenzen zur EU zu öffnen, versuchen Tausende Migranten, nach Westeuropa zu gelangen. Laut UN harren rund 13.000 Migranten bei Kälte auf der türkischen Grenzseite zu Griechenland aus. Unter ihnen sollen auch viele Kinder sein.
Kind stirbt bei Untergang eines Flüchtlingsbootes
Ein Kleinkind starb beim Versuch, nach Griechenland zu kommen. Es ertrank vor der Insel Lesbos. Wie das griechische Fernsehen (ERT) unter Berufung auf die Küstenwache berichtete, war das Opfer an Bord eines Schlauchbootes mit 48 Migranten aus der Türkei gekommen. Als die Migranten ein Patrouillenboot der griechischen Küstenwache sahen, hätten sie das Schlauchboot durchlöchert, um als Schiffbrüchige gerettet zu werden.
Die Küstenwache ist dann verpflichtet, die Menschen aufzunehmen und sie nach Griechenland zu bringen. Das Boot ging unter. Die Küstenwache habe die Migranten geborgen, hieß es weiter. Für das Kind kam aber jede Hilfe zu spät. Ein zweites Kind, das ebenfalls bewusstlos aufgefunden wurde, wurde den Angaben zufolge ins Krankenhaus gebracht. Es sei außer Lebensgefahr.
Frontex setzte die Alarmstufe für alle EU-Grenzen zur Türkei auf "hoch". Zugleich verstärkte Griechenland seine Einheiten entlang der Grenze zur Türkei weiter. Die Regierung in Athen warf der Türkei vor, Migranten mit falschen Informationen zu ermuntern, nach Griechenland und damit in die EU zu kommen.
Tausende Menschen harren im Grenzgebiet aus.
Wasserwerfer und Tränengas gegen Flüchtlinge
Wie schon in den vergangenen Tagen setzte die griechische Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein, um die Migranten am Übertritt zu hindern. Hunderte hatten erneut versucht, die Grenze bei Kastanies zu passieren und nach Griechenland und damit in die EU zu gelangen, wie ERT berichtete. Die Nacht zum Montag war dagegen relativ ruhig verlaufen.
Griechenland kündigte an, einen Monat lang keine neuen Asylanträge anzunehmen. Das teilte Regierungschef Kyriakos Mitsotakis auf Twitter mit. Außerdem gilt in dem Land seit Sonntagabend für Sicherheitskräfte die höchste Alarmstufe. Diese gelte sowohl für das Militär als auch für die Polizei, teilte ein Regierungssprecher im Staatsfernsehen mit. EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas wird nach eigenen Worten heute in Berlin sein. Er hatte am Wochenende eine baldige Sondersitzung der EU-Innenminister gefordert.
Erdogan trifft Borissow und Putin
Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow reist heute nach Ankara, um mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über die Lage in Syrien und Flüchtlingsbewegungen zu sprechen. Wie die bulgarische Regierung mitteilte, werden die beiden bei einem Abendessen "Handlungen erörtern, die zur Bewältigung der Krise in Syrien und zum Stopp des Migrationsdrucks beitragen werden".
Am Donnerstag trifft sich Erdogan außerdem mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Die Türkei hatte am Sonntag eine Militäroffensive gegen die von Russland unterstützten syrischen Regierungstruppen bestätigt, nachdem sich die Kämpfe in der letzten syrischen Rebellenhochburg Idlib zuletzt verschärft hatten. Direkte Auseinandersetzungen mit Russland will die Türkei aber vermeiden. Die militärische Eskalation in der syrischen Provinz Idlib ist der Hauptgrund für Erdogans Entscheidung, die Grenze zu öffnen.
Was macht die EU?
Eine EU-Sprecherin erklärte am Sonntag, die Europäische Union sei in konstantem Kontakt mit den türkischen Autoritäten. "Das unerträgliche humanitäre Desaster in und um Idlib verlangt dringend, dass wir handeln."
Die Türkei hat rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. In einem Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 sagte die Türkei eigentlich zu, gegen illegale Migration vorzugehen. Das Abkommen sieht zudem vor, dass die EU alle Flüchtlinge und Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug nimmt die EU regulär Syrer aus der Türkei auf.
Die Regierung in Ankara erhält zudem milliardenschwere Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge im Land. Ankara hatte zuletzt immer wieder - auch mit Blick auf die Kämpfe in Idlib - weitere Unterstützung durch die EU eingefordert.
Röttgen und Merz fordern Hilfe für Türkei
Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, sprach sich für eine Neuauflage des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei aus. "Entweder wir Europäer helfen den Flüchtlingen in der Türkei unter Kooperation mit der Türkei, oder die Flüchtlinge werden aus ihrer Not getrieben und zu uns kommen", sagte der Außenpolitiker im ARD-Morgenmagazin.
Es gehe nun darum, "ganz schnell" finanziell Hilfe zu leisten, um Flüchtlingen in der Türkei zu helfen. Zugleich müsse im Syrien-Konflikt mehr Druck auf Russland ausgeübt werden. Moskau sei "politisch der entscheidende Spieler", um die Fluchtursachen in Syrien unter Kontrolle zu bekommen, erklärte Röttgen.
Der CDU-Vorsitzbewerber Friedrich Merz forderte, der Türkei jegliche nötige Unterstützung zur Unterbringung von Flüchtlingen zu geben. Zugleich müsse ein Kontrollverlust wie 2015 vermieden werden. "Deutschland muss natürlich auch die Kontrolle über seine eigenen Grenzen behalten, wenn es eine solche Situation erneut geben sollte", sagte Merz dem MDR.
Deutschlands Kommunen warnten vor einer erneuten Flüchtlingskrise. Eine Flüchtlingssituation wie 2015 würde die Kommunen überfordern, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, der "Neuen Osnabrücker Zeitung".