Interview

Interview mit Journalist Greenwald "Ungeheure Vorteile durch Spionage"

Stand: 28.10.2013 12:40 Uhr

Werden die USA ihre Spionage nun ändern? Nein, glaubt der Journalist Greenwald, der gemeinsam mit dem früheren NSA-Mitarbeiter Snowden die Überwachung publik machte. Im Weltspiegel-Interview spricht er über Ziele der US-Spionage in Brasilien und vielen anderen Ländern der Welt sowie über Bedingungen für eine mögliche Aussage Snowdens vor einem Untersuchungsausschuss in Deutschland. Das Interview, das ARD-Südamerika-Korrespondent Michael Stocks mit Greenwald führte, dokumentiert tagesschau.de im Wortlaut.

Michael Stocks: Was genau will die NSA in Brasilien herausfinden? Wer wird überwacht? Was ist das Ziel?

Glenn Greenwald: Der Kernpunkt ist, dass die USA - seitdem die Enthüllungen auf den Tisch kamen - durch Präsident Obama ständig nur beteuert haben, dass diese Überwachungen nur dazu dienen, die Amerikaner vor Terrorismus und anderen nationalen Sicherheitsbedrohungen zu schützen. Was mir Edward Snowden bei unserem Treffen in Hongkong aber sagte, war, dass die Spionage damit in großen Teilen gar nichts zu tun habe. Vielmehr gehe es darum, wirtschaftliche Vorteile zu erzielen und darum, andere Ziele zu erreichen. Und genau das haben die Enthüllungen in Brasilien gezeigt. Es gibt Berichte, dass hier wirtschaftliche Konferenzen ausgespäht wurden, der Ölgigant Petrobras, das Energieministerium. Das geht es definitiv nur im industriellen und wirtschaftlichen Vorteil. Das hat alles nichts mit nationaler Sicherheit zu tun. Es hat ganz sicher nichts mit Terrorismus zu tun.

Zur Person
Der US-Journalist Glenn Greenwald wurde durch seine Enthüllungsgeschichten bei der britischen Zeitung "The Guardian" weltbekannt, in denen er auf der Basis von Dokumenten des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden über das US-Überwachungsprogramm PRISM und die weltweite NSA-Spionage berichtete. Im Oktober 2013 gab er bekannt, mit Finanzhilfe des Ebay-Mitgründer Pierre Omidyar ein neues Medienunternehmen aufzubauen.

Stocks: Im Moment gibt es in Deutschland große Aufregung um das offensichtlich abgehörte Handy von Bundeskanzlerin Merkel. Was wissen Sie darüber?

Greenwald: Ich denke, das sind ganz interessante Aspekte: Zum einen gibt es schon länger sehr ernstzunehmende Enthüllungen über die Ausspähungen in Deutschland. In die private Kommunikation von Millionen Deutschen hat sich die NSA eingehackt. Und was war? Die deutsche Regierung und Kanzlerin Merkel waren zunächst offenbar nicht besonders an dieser Enthüllung interessiert. Das geschah erst jetzt, nachdem klar wurde, dass auch sie betroffen ist. Erst jetzt nimmt sie die Spionageaffäre ernst. Ich denke, die Deutschen sollten sich fragen, warum das so ist. Warum ist das erst jetzt ein offizielles Thema?

Stocks: Stammt diese Information der Überwachung des Kanzlerhandys auch von den Dokumenten von Edward Snowden?

Greenwald: Das basiert mit Sicherheit darauf. Die deutsche Regierung konnte nur dank ihm die Informationen erlangen, dass da abgehört wurde. Und ich denke: Ohne das Engagement von Edward Snowden wäre das nie rausgekommen.

"Deutschland sollte Snowden als Held anerkennen"

Stocks: Edward Snowden hat der Welt und Deutschland mit den Enthüllungen ja einen großen Gefallen getan. Sollte sich Deutschland nun nicht dankbar zeigen und Snowden Asyl anbieten?

Greenwald: Ja, genau - darum geht es doch. In Brasilien gilt Snowden als ein Held. Genau die gleiche Anerkennung sollte er auch in Deutschland bekommen. Gerade Deutschland ist eines der Länder, das am meisten von den Enthüllungen Snowdens profitiert - von Anfang an. Deutsche Medien haben darüber unablässig berichtet. Die deutsche Regierung muss ja nicht dankbar sein, aber sie sollte das tun, wozu sie gesetzlich verpflichtet ist, nämlich Menschen, die politisch verfolgt werden, zu schützen. Trotz all dem, was Snowden für die deutsche Öffentlichkeit getan hat, lässt die deutsche Regierung zu, dass ihn amerikanische Behörden bedrohen und seine Rechte beschneiden - nur wegen seiner Enthüllungen. Die Deutschen sollten sich die Frage stellen, warum ihre Regierung so handelt, und sie sollten ihre Regierung auffordern, die Grundrechte von Mister Snowden endlich wirkungsvoll zu schützen.

Stocks: Nun wird auch in Deutschland ein Untersuchungsausschuss gefordert und Snowden soll dazu befragt werden.

Greenwald: Edward Snowden zu befragen, ist naheliegend. Er sollte befragt werden. Er ist erstens sehr mutig und will sprechen über das, was er weiß über das Ausspionieren von Verbündeten und unbescholtenen Bürgern. Und außerdem hat er eine riesige Erfahrung über die Praktiken, da er ja über viele Jahre in diesem System gearbeitet hat. Aber das wird er nicht ohne Weiteres tun - außer wenn sich die deutsche Regierung auch dafür einsetzt, seine grundlegenden Rechte zu schützen.

Stocks: Nachdem nun wochenlang über diese Überwachungspraktiken berichtet wurde: Haben die Amerikaner irgendetwas geändert?

Greenwald: Präsident Obama hält daran fest zu sagen, dass diese Überwachungspraktiken nun auf dem Prüfstand seien, dass dies alles überdacht werde. Aber wie ich ja schon erklärt habe: Die US-Regierung erreicht durch diese Spionage einen ungeheuren Vorteil, in Bezug auf Macht, in Bezug auf wirtschaftlichen Vorteil, in Bezug auf Sicherheitswettbewerb. Solange es nicht einen wirklich relevanten Grund gibt, dies zu stoppen, solange werden wir nichts anderes als symbolische Gesten von Obama erwarten können - was zu den besonderen Fähigkeiten von Präsident Obama gehört. Er kann sehr blumig umschreiben, dass er besorgt ist. Aber an der Substanz wird deswegen nichts verändert.

Stocks: Vermutlich wird es weitere Enthüllungen geben. Was erwarten Sie?

Greenwald: Es wird weitere Informationen über die NSA-Spionage in Deutschland geben. Und es werden neue Enthüllungen aus anderen Ländern kommen - und das schon bald.