Gedenken in Auschwitz Die Überlebenden haben das Wort
In der Gedenkstätte des früheren deutschen Vernichtungslagers Auschwitz erinnern heute hochrangige Politiker und etwa 200 Überlebende an die Befreiung vor 75 Jahren. Misstöne gab es im Vorfeld zwischen Polen und Russland.
In Auschwitz haben traditionell die Überlebenden das Wort, wenn der Befreiung des Lagers am 27. Januar gedacht wird. Es war der Tag, als Truppen der Roten Armee das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager erreichten. Ausnahmsweise aber wird es in diesem Jahr vorneweg ein Grußwort eines Politikers geben, nämlich des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda.
Dieser stand zuletzt im Zentrum politischer Rangeleien zwischen Polen und Russland um Deutung und Interpretation der Geschichte. Sie gipfelten darin, dass Duda demonstrativ einem israelischen Holocaust-Forum fernblieb, unter anderem mit der Begründung, dass dort zwar der russische Präsident Wladimir Putin, aber nicht er als polnisches Staatsoberhaupt hätte reden dürfen.
Luftaufnahme von Auschwitz (15.12.2019)
Empörung über Putin
Putin hatte zuvor in Interviews den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 relativiert und von einer Mitschuld Polens am Ausbruch des 2. Weltkriegs gesprochen. Er hatte damit international Kopfschütteln und in Polen lagerübergreifend Empörung ausgelöst.
Befürchtungen, Duda würde nun seinerzeit Auschwitz als Bühne für Kritik an Putin missbrauchen, wies dessen Kanzleichef zurück, Auschwitz sei kein Ort für politische Kämpfe. Duda werde dort eine ernsthafte Rede halten, ohne die Gefühle der Opfer zu verletzen. Der Präsident selbst meinte:
Es ist außerordentlich wichtig, denn für viele Überlebende wird dieser 75. Jahrestag vielleicht die letzte Gelegenheit sein, an diesen schrecklichen Ort zu kommen, sie bezeugen unvorstellbare Verbrechen Hitler-Deutschlands. Ihre Anwesenheit dort ist das wichtigste.
200 Überlebende gedenken einer Million Toten
1200 Journalisten sind angemeldet, etwa 200 Überlebende werden in Auschwitz erwartet, dem Ort, der wie kein anderer den Holocaust symbolisiert. Mindestens eine Millionen Juden aus ganz Europa waren dort systematisch ermordet worden, aber auch viele Zehntausende Angehörige weiterer Gruppen wurden getötet: christliche Polen, sowjetische Kriegsgefangene, Homosexuelle, Sinti und Roma und weitere.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist gemeinsam mit drei Auschwitz-Überlebenden in die Gedenkstätte. Solche Gesten seien für die Opfer von kaum zu überschätzender Bedeutung, betont der katholische Geistliche Manfred Deselaers. Der Deutsche leitet seit vielen Jahren das kirchliche Zentrum für Dialog und Gebet unweit von Auschwitz.
"Ich weiß von ehemaligen Häftlingen, wie ungeheuer wichtig und emotional es für sie ist, herzlich begrüßt zu werden, zum Beispiel. Das liegt daran, dass die Erinnerung an ihre Leidensgeschichte eine Erinnerung an eine Erfahrung mit dem deutschen Staat ist." Es sei wichtig, nicht nur "ein paar nette Deutsche" nach dem Krieg getroffen zu haben, sondern dem deutschen Staat vertrauen zu können, sagt Deselaers.
Kratzspuren von Häftlingen an den Wänden der rekonstruierten Gaskammer im früheren Konzentrationslager Auschwitz I.
Steinmeier wird nach einem Rundgang durch die Gedenkstätte neben weiteren Repräsentanten aus aller Welt Platz nehmen, und wie sie alle zuhören. Geplant sind Berichte von vier Überlebenden. Anfang Dezember erst hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum ersten Mal Auschwitz besucht; sie hielt dort eine Rede, in der sie das Bewusstsein für das, was in Auschwitz geschah, zum Teil deutscher Identität erklärte, der "unverhandelbar" sei.