Die französische Flagge über dem Gebäude der Nationalversammlung in Paris

Kräftemessen im Linksbündnis Kandidat für Amt des Premiers noch immer gesucht

Stand: 11.07.2024 08:02 Uhr

Nach dem Sieg bei der Wahl in Frankreich konnte sich das Linksbündnis bislang nicht auf einen Kandidaten für das Amt des Premiers einigen. Es geht dabei nämlich auch um die künftigen Machtverhältnisse im Bündnis.

Jean-Luc Mélenchon will es offenbar nochmal wissen und heizt damit das Kräftemessen im Linksbündnis an. Auf die Frage, ob er Regierungschef werden wolle, antwortete der Wortführer der linkspopulistischen Partei LFI bei mehreren Gelegenheiten: "Ich fühle mich dazu in der Lage, bin aber für nichts Kandidat."

Mélenchon poltert und polarisiert

Bei vielen sorgt das für regelrechte Schnappatmung. Kaum jemand polarisiert so stark wie Mélenchon - auch über Frankreich hinaus. 2014 hatte er, damals noch auf Twitter, geschrieben: "Maul zu, Frau Merkel! Frankeich ist frei" - als Reaktion auf die deutsche Kritik, was die Geschwindigkeit finanzieller Strukturreformen in Frankreich anging.

Zuletzt war Mélenchon vor allem durch seine Weigerung aufgefallen, die Hamas klar als Terrororganisation zu bezeichnen. Oder indem er behauptete, dass es in Frankreich nur noch einen "Rest-Antisemitismus" gebe, obwohl die Zahl der antisemitischen Straftaten laut Regierungsangaben seit Oktober 2023 massiv gestiegen ist.

Wachsende Kritik auch aus den eigenen Reihen

All das sorgt für heftige Kritik bis weit hinein ins eigene Lager. François Ruffin, Mélenchon-Kritiker aus den eigenen Reihen, sagte während des Wahlkampfes: "Jean-Luc Mélenchon ist keine Unterstützung, er stößt die Wähler eher noch ab. Ich denke, er ist ein Hindernis für den Erfolg des Linksbündnisses."

Ruffin gilt selbst als möglicher Premierminister-Kandidat von links und war in den letzten Wochen deutlich auf Distanz zu Mélenchon gegangen. Im neuen Parlament will er nicht mehr Teil von dessen Fraktion sein. Mélenchon wiederum gibt sich in Interviews betont kompromissbereit: "Ich bin Teil der Lösung und nicht Teil des Problems", so der Linkspolitiker. Wenn man ihn als möglichen Premier ins Spiel bringe, antworte er nicht, dass er sich dazu außer Stande fühle - werde sich aber nicht aufdrängen. "Wir werden darüber diskutieren."

Neues Kräfteverhältnis innerhalb des "Front Populaire"

Innerhalb des Linksbündnisses stellt LFI die meisten Abgeordneten, nämlich 71. Theoretisch bedeutet das eine Art "Vorschlagsrecht" für einen Regierungschef aus dem "Nouveau Front Populaire". Dieser Machtanspruch ist aber relativ: Denn die von vielen schon totgesagten Sozialisten haben fast genauso viele Sitze geholt (65) - vor allem dank der taktischen Absprachen mit dem Präsidentenlager vor dem zweiten Wahlgang.

Niemand im Linksbündnis könne also irgendwem irgendwas aufzwingen, sagt Olivier Faure, der Parteichef der Sozialisten: "Es kann keinen Anspruch auf Vorherrschaft geben." Faure will den Machtanspruch von LFI begrenzen - zumal er selbst sich in der Lage fühlt, Premier zu werden.

"In der Geschichte der Sozialisten haben alle meine Vorgänger ihre Rolle mit Pflichtbewusstsein erfüllt - und im Willen, dem Land zu dienen", so Faure. Auch er sei bereit, diese Rolle anzunehmen. "Aber im Dialog mit unseren Partnern."

Shooting-Star bei den Grünen

Zu diesen Partnern zählen auch die französischen Grünen. Deren Chefin Marine Tondelier ist die politische Entdeckung der letzten Wochen: Sie gilt als Architektin des Linksbündnisses. Allerdings stellt ihre Partei deutlich weniger Abgeordnete als die Linksaußen-LFI und die Sozialisten.

Auf den Personalpoker angesprochen, versucht die Grünen-Chefin den Fokus zu verschieben: "Für mich ist die Frage nach dem 'Wer' zweitranging", so Tondelier. "Und es wäre unverantwortlich, das zur wichtigsten Frage zu machen, die ständig alles blockiert."

Was die Suche nach dem Premierminister-Kandidaten betrifft, sei bei den Beratungen im Linksbündnis eines klar geworden, sagte Marine Tondelier im Radiosender RTL: Es werde nicht auf Jean-Luc Mélenchon hinauslaufen. Und ihre eigenen Ambitionen? Da bleibt Tondelier ausweichend: "Ich erlebe das alles als ein kollektives Abenteuer. Mehr habe ich nicht zu sagen."

"Kollektives Abenteuer" könnte zur Zerreißprobe werden

Ein Abenteuer allerdings, das für Risse innerhalb des Linksbündnisses sorgt - und vor allem zu einem Kräftemessen zwischen der Linksaußenpartei LFI und den Sozialisten werden dürfte.

Nach der Auflösung des Parlaments hatten die linken Parteien ein gemeinsames Ziel: dem Präsidentenlager und vor allem dem rechtsnationalen Rassemblement National die Stirn zu bieten. Im Rekordtempo wurden das Bündnis geschmiedet und ein Wahlprogramm entwickelt. Die Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs legt nun Divergenzen offen - und könnte Fliehkräfte freisetzen, die während des Wahlkampfes keinen Platz hatten.

Bis spätestens Anfang nächster Woche soll ein Name feststehen, heißt es. Ihren Einzug in die Nationalversammlung haben die Parteien des Linksbündnisses jedenfalls schon getrennt organisiert. Jede für sich allein.

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 08. Juli 2024 um 12:00 Uhr.