EU-Flüchtlingsgipfel Merkel macht den anderen Mut
In Brüssel beraten die 28 EU-Staats- und Regierungschefs über die Flüchtlingsverteilung. Kanzlerin Merkel sagte, Europa habe die Kraft zur Bewältigung der Krise. Beraten wird unter anderem über Millionenhilfen für die UNO zur Unterstützung der syrischen Flüchtlinge.
Auch nach mehr als sechs Stunden Beratung haben sich die 28 EU-Regierungen auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel noch nicht auf eine gemeinsame Position in der Flüchtlingskrise einigen können. Aus EU-Diplomatenkreisen hieß es bislang lediglich, dass Fragen wie etwa eine Sicherheitszone für Flüchtlinge in Syrien und Aufnahmelager in der Türkei diskutiert worden seien.
Zum Auftakt des EU-Sondergipfels in Brüssel hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die anderen europäischen Regierungen aufgefordert, gemeinsam einen Weg für den Umgang mit den Hunderttausenden Flüchtlingen in Europa zu finden.
Angesichts "einer großen Herausforderung" dürfe es nicht passieren, "dass Europa sagt, wir werden mit der Sache nicht fertig", sagte Merkel. "Das wäre ganz falsch." Europa habe die Kraft, die Krise zu bewältigen. Dazu müsse die EU in der Außenpolitik aktiver werden und Fluchtursachen wirksamer bekämpfen, aber auch mit der Türkei beim Grenzschutz stärker zusammenarbeiten.
Die Kanzlerin räumte ein, auch sie habe die Probleme unterschätzt. Sie verwies auf die zu niedrige Finanzierung internationaler Hilfsorganisationen, die Flüchtlingslager etwa rund um Syrien betreuen. "Hier haben wir alle miteinander, und ich schließe mich da ein, nicht gesehen, dass die internationalen Programme nicht ausreichend finanziert sind, dass Menschen hungern in den Flüchtlingslagern, dass die Lebensmitttelrationen gekürzt wurden." Sie erhoffe sich deshalb von dem Gipfel "ein Signal", die Finanzierungslücke etwa beim Welternährungsprogramm zu schließen.
Milliardenhilfen für Flüchtlinge
In einem Entwurf der Abschlusserklärung heißt es der Nachrichtenagentur AFP zufolge dazu, dass die EU den UN-Organisationen zusätzlich eine Milliarde Euro zur Unterstützung der syrischen Flüchtlinge bereitstellen will. Die 28 Mitgliedsländer wollen demnach eine entsprechende Selbstverpflichtung beschließen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte seinerseits an, die Kommission wolle in diesem Jahr 200 Millionen Euro zusätzlich für das Welternährungsprogramm der UN bereitstellen. In 2016 sollen 300 Millionen Euro zusätzlich für humanitäre Hilfe ausgegeben werden. Zudem stünden erhebliche Geldmittel bereit, um Länder in der EU-Nachbarschaft mit vielen Flüchtlingen zu unterstützen, sagte Juncker. So könne allein die Türkei mit bis zu einer Milliarde Euro rechnen.
Seine Behörde habe "jeden Stein umgedreht, um im EU-Haushalt zusätzliche Gelder aufzutreiben", unterstrich Juncker. Er hoffe sehr darauf, dass die Staats- und Regierungschefs der EU den geplanten Ausgaben zustimmten und diese noch mit eigenen Mitteln erhöhten.
Tusk fordert Einigkeit
EU-Ratspräsident Donald Tusk rief mit eindringlichen Worten dazu auf, gegenseitige Beschuldigungen und Missverständnisse der vergangenen Tage und Wochen zu überwinden und nun an einem Strang zu ziehen. Wichtigste Aufgabe sei nun der Schutz der gemeinsamen Außengrenzen. Millionen Menschen aus Nahost könnten nach Europa kommen.
Dazu sollen die EU-Grenzschutzagentur Frontex und die gemeinsame Polizeibehörde Europol gestärkt werden. "Die heutige Debatte muss sich auf Fakten gründen, nicht auf Illusionen und Emotionen", sagte der Liberalkonservative aus Polen.
Ungarns Regierungschef Viktor Orban erklärte, Griechenland brauche Unterstützung bei der Grenzsicherung. Wenn die Griechen nicht in der Lage seien, ihre Grenzen zu verteidigen, sollten die anderen EU-Länder anbieten, dies zu übernehmen, so Orban.
Er verteidigte zugleich die Grenzsperrung zu Serbien. Budapest halte sich im Schengen-System an die Regeln und auch andere sollten dies tun, sagte Orban. "Wenn die Bestimmungen nicht eingehalten werden, gerät die gesamte EU ins Chaos."
Keine Änderungen am Verteilschlüssel
Die EU-Innenminister hatten bereits am Dienstag gegen den Widerstand von Ungarn, Tschechien, Rumänien und der Slowakei die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen in den EU-Staaten beschlossen. Juncker schloss Änderungen daran aus: "Der Beschluss steht." Der niederländische Regierungschef Mark Rutte sagte: "Das ist ein rechtlich bindender Beschluss, also müssen wir es am Ende machen."
Die Slowakei will aber gegen den EU-Beschluss klagen, wie der sozialdemokratische Regierungschef Robert Fico in Bratislava ankündigte. Tschechien erklärte hingegen, den Mehrheitsbeschluss akzeptieren zu wollen.
Die EU-Kommission kann ihrerseits rechtlich gegen Mitgliedstaaten vorgehen, die sich nicht an EU-Recht halten; solche Verfahren können vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) münden.
Unmittelbar vor dem Spitzentreffen setzte die EU-Kommission dazu ein Zeichen: Sie eröffnete gegen Deutschland und 18 weitere Staaten Verfahren wegen Verstößen gegen das gemeinsame Asylrecht. Deutschland wird zum Beispiel gerügt wegen unzureichender Umsetzung der EU-Richtlinien zu Mindestnormen bei Asylverfahren und zur Aufnahme von Asylbewerbern.