Reportage über Flüchtlinge aus Afrika Auch wenn es das Leben kostet
Gestrandet im Wald vor den Toren der Grenzstadt Oujda in Nordmarokko leben sie unter grünen Plastikplanen - und warten. Flüchtlinge wie Mohamed, Abdoullah oder Abou stecken hier fest - im Wartesaal nach Europa.
Von Alexander Göbel, ARD-Hörfunkstudio Rabat
Mohamed weist den Weg durch den dichten Pinienwald, in die Camps der Migranten aus Ghana, Mali und Burkina Faso. Alle hier sind Mitte Zwanzig - und sie haben alles hinter sich gelassen, um anderswo das Glück zu suchen, das sie zu Hause nicht finden konnten. Sie suchen Schutz unter grünen Plastikplanen, kochen an kleinen Feuerstellen und besitzen nur das, was sie am Körper tragen.
"Wenn du morgens aufwachst, hier im Wald, und du weißt, dass Europa so nah ist, dann denkst du an das gute Leben, das die Menschen dort haben", sagt Mohamed. "Ich träume davon, jeden Tag. Von Nador und Gurugu aus kannst du sogar Melilla sehen und das Mittelmeer riechen. Das macht dich wahnsinnig. Du willst sofort gehen - auch wenn es dein Leben kosten kann. Aber das ist vielleicht symptomatisch für Afrika: Du musst dein Leben riskieren, um etwas zu erreichen."
3000 Euro für Schlepper
Sein Leben hat auch Abdoullah riskiert. Mehr als zwei Jahre war er unterwegs - tausende Kilometer, von Ghana bis nach Marokko. Mehr als umgerechnet 3000 Euro hat sein Trip gekostet. Gespart hatte sein ganzes Dorf - für die Schlepper, die ihn durch die Wüste gebracht haben. Seine Eltern wissen nicht, dass er noch lebt. Aber Abdoullah ist sicher, dass sie für ihn beten. Profifußballer will er werden, am liebsten bei Real Madrid. Wenn er es geschafft hat, sagt er, dann will er zu Hause anrufen. Und Geld schicken. Damit seine Eltern stolz auf ihn sind.
"Ach, Europa - es ist wunderbar dort. Ich war schon mal auf Gran Canaria, mit dem Boot, das ist schon lange her, ich war beeindruckt von Las Palmas", sagt Abdoullah. "Leider wurde ich verhaftet und zurückgeschickt. Aber ich war drei Monate da und ich fand es toll in Europa."
Im Wartesaal nach Europa
Doch seit einem Jahr schon steckt Abdoullah in Oujda fest - im Wartesaal nach Europa, wie so viele afrikanische Migranten und Flüchtlinge. Tagsüber lungern sie in der Stadt herum, betteln Passanten an. Ein paar Dirham für die nächste Mahlzeit, für Wasser, Seife, Kleidung, Medikamente, Milchpulver und Windeln für die Babys.
Arbeiten dürfen die Migranten in Marokko offiziell nicht. Viele verdingen sich als Tagelöhner bei Bauern. Manche handeln mit Drogen, um irgendwie an Geld zu kommen. Vielen Frauen bleibt nichts anderes übrig als Prostitution. Im Wald von Oujda vegetieren hunderte Menschen, die Afrika nicht will, Marokko nicht und Europa erst recht nicht. "Immer wenn die Polizei kommt, stecken die Beamten die Zelte an", erzählt Abdoulaye aus Burkina Faso. "Es ist sehr gefährlich für uns. Wir werden oft im Schlaf überrascht, manchmal werden Menschen verletzt. Wir müssen dann immer wieder von vorne anfangen und uns Material zusammensuchen, manchmal geben uns Hilfsorganisationen diese Plastikplanen. Die heißen bei uns 'Kosovos'. Dann bauen wir uns neue Unterkünfte - bis zur nächsten Polizeirazzia."
Brei mit Reis und Gemüse
Momentan landen immer mehr junge Malier in Oujda. Der Krieg im Norden ihrer Heimat treibt sie hierher - und nach Europa. Menschen wie Abou, 20 Jahre alt. Er ist am äußeren Grenzzaun von Melilla hängen geblieben und hat sich den linken Fuß aufgerissen. Die marokkanische Polizei hat ihn geschnappt, verprügelt und im Wald abgeladen. Eiter kommt aus der offenen Wunde, der Fuß ist stark geschwollen, wegen der Schmerzen kann Abou kaum noch sprechen. Die anderen setzen ihn auf den kalten Boden in die Runde um einen großen zerbeulten Topf.
Die Männer essen mit den Händen, was Camp-Chef Ismael zusammengerührt hat: einen Brei mit Reis und Gemüse. Sie essen, so viel sie können. Sie müssen stark bleiben, um nicht zu verzweifeln - an Afrika und Europa.
"Schau dir doch Afrika an: überall Kriege, überall Blutvergießen", sagt Mohamed. "Schau dir den Kongo an, Somalia, Mali: Die Menschen wollen doch nur Freiheit - und Frieden, Menschenrechte. All das gibt es - aber nicht für uns, sondern nur für die Menschen in den reichen Ländern. Sogar Hunde haben in Europa einen Ausweis! Ein europäischer Hund ist mehr wert als ich! Wo ist die Gerechtigkeit? Dieses Gerede vom vereinten Afrika - das ist doch alles ein böser Traum."