Trauer um Kinder von Winnyzja "Sie haben mir das Kostbarste genommen"
Nach dem Angriff auf Winnyzja ist nach ukrainischen Angaben die Zahl der Toten auf 24 gestiegen, darunter mindestens drei Kinder. Ihre Schicksale erregen besonders viel Aufmerksamkeit.
Pechschwarzer Asphalt ist nach dem Brand auf den Bildern aus Winnyzja zu sehen. Die Gebäude stehen ohne Fenster da. Im schmucken Kulturhaus mit seinem Säulenensemble ist das Dach eingestürzt - nach dem Raketeneinschlag vor zwei Tagen. In den benachbarten Häusern räumen geschockte Bewohner den Schutt weg. Die Druckwelle scheint in ihren Wohnungen alles durcheinander gebracht zu haben.
Einige der Anwohner sind im ukrainischen Fernsehen zu sehen. "Was hier passiert ist? Die russische Welt kam uns besuchen. Das ist alles. Wir haben nicht damit gerechnet. Nun aber kam der Krieg zu uns", sagt einer. "Eine heftige Explosion war das. Die Autos drum herum standen in Flammen. Wir rannten, ich habe meine Mutter und mein Kind gepackt und los, bloß aus der Wohnung raus."
Winnyzja zählte zu den lebenswertesten Städten der Ukraine
Winnyzja liegt im Südwesten der Ukraine, etwa dreieinhalb Autostunden von Kiew entfernt. Mehr als 350.000 Menschen lebten dort vor Kriegsbeginn. In Umfragen zählte Winnyzja zu den lebenswertesten Städten der Ukraine: gut entwickelte Industrie, starker Handel, vier Universitäten. Und auch die ukrainische Luftwaffe hat hier ihre Kommandostelle.
Bis vor zwei Tagen war Winnyzja von Raketenangriffen weitgehend verschont geblieben. Das russische Verteidigungsministerium erklärte nun, ein Offiziersclub sei zerstört worden. Damit ist wohl das mondäne Kulturhaus gemeint, das nun ohne Dach dasteht. Nach Angaben des Bürgermeisters der Stadt gehört die Konzerthalle tatsächlich dem Militär, sie sei aber immer für zivile Veranstaltungen genutzt worden.
Mehr als 200 Menschen sollen in Winnyzja verletzt worden sein. Die Zahl der Toten ist nach neuen Angaben des Katastrophenschutzes mittlerweile auf 24 gestiegen.
Zwei Schicksale bewegen die Ukraine besonders: die eines kleinen Mädchens und seiner Mutter. Die vierjährige Lisa war mit ihrer Mutter Iryna Dmitrijewa in Winnyzja zum Logopäden unterwegs. Noch kurz vor dem Angriff zeigte die Mutter ihre Kleine bei Instagram. Im Video schiebt Lisa einen Kinderwagen vor sich her. Später zeigen Aufnahmen diesen Kinderwagen und eine Kinderleiche daneben. Die Bilder gehen um die Welt.
Als ihre Oma Larissa die Explosion im Stadtzentrum hört, erlebt sie furchtbare Stunden. "Ich rannte zu Fuß dorthin. Ich überprüfte jeden Krankenwagen." Sie habe bis zuletzt gehofft, aber beide nicht gefunden", erzählte Larissa dem Fernsehsender Suspilne. Ihre Enkelin ist tot, ihre Tochter kommt schwer verletzt ins Krankenhaus. Noch ist unklar, ob sie überlebt.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Dass ihre Enkelin nicht mehr am Leben ist, habe ihr noch niemand erzählt. Die Oma kann ihre Tränen kaum zurückhalten. "Sie ist ein kleiner Engel, der allerliebste, meine Kleine. Sie nahmen mir das Wertvollste, was ich hatte. Ich weiß nicht, wie ich jetzt weiterleben soll. Sie haben mir das Kostbarste genommen. Das schönste Wesen überhaupt."
Auftritt in Weihnachtsvideo mit ukrainischer First Lady
Lisa hatte das Down-Syndrom, wuchs geschützt von Fürsorge und Liebe ihrer Familie auf: Die Instagram-Seite ihrer Mutter zeigt sie strahlend in einem Lavendelfeld, kuschelnd mit einem Hund und überglücklich beim Pusten von Seifenblasen. Das quirlige kleine Mädchen tauchte sogar in einem Weihnachtsvideo der ukrainischen First Lady auf. Olena Selenska zeigte sich voller Trauer.
Zwei weitere Kinder sind beim Angriff in Winnyzja getötet worden. Ein Junge war nach offiziellen Angaben während des Angriffs mit seiner Mutter beim Arzt. Der andere verbrannte in einem Auto, als er dort auf seinen Onkel wartete. Täglich veröffentlicht die ukrainische Seite eine eigene Statistik zu Kriegsopfern unter Kindern. 353 sind demnach seit dem 24. Februar aus dem Leben gerissen worden, mehr als 600 wurden verletzt.