Sechstes EU-Sanktionspaket Öl-Embargo mit Schlupflöchern
Nach langen Verhandlungen haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf ein Teil-Embargo für russisches Öl geeinigt. Es soll für einen Großteil der Einfuhren per Schiff gelten.
Sie wussten, es würde mal wieder ein langer Abend in Brüssel werden. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine Ende Februar hatten sich die 27 Staats- und Regierungschefs und -chefinnen auf fünf Sanktionspakete verständigen können. Geeint - ohne größere Widersprüche einzelner Mitgliedsstaaten. Beim Öl jedoch gab es Widerspruch, besonders aus Ungarn.
"Das ist kein Kinderspiel, es ist sehr ernst. Das heißt, wir brauchen erst die Lösungen und dann die Sanktionen", sagte Ungarns Premierminister Viktor Orban kurz vor Beginn der Verhandlungen am Montagnachmittag. Die Lösung der so verzwickten Gleichung lautet nun so: Verboten wird die Einfuhr von russischem Öl, das über den Seeweg in die EU gelangt - das sind rund zwei Drittel der Gesamtmenge. Länder wie Ungarn, aber auch Tschechien und die Slowakei dürfen weiterhin Öl aus der Druschba-Pipeline beziehen. Verboten sein soll es außerdem, russische Schiffe zu versichern.
EU-Ratspräsident Charles Michel gab sich noch in der Nacht sichtlich Mühe, die verlorene Einigkeit nun zumindest verbal wieder herzustellen: "Es ist keine Entscheidung rein für Ungarn, wir haben damit die Situation der Länder bedacht, die keinen Seezugang haben. Und das sind mehr Länder als nur Ungarn."
Noch zehn Prozent russisches Öl in die EU
Deutschland und Polen, die ebenfalls über die Druschba-Pipeline beliefert werden, erklärten sich bereit, bis Ende des Jahres kein Öl mehr daraus zu beziehen. Damit würden dann noch zehn Prozent russisches Öl in die EU importiert, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Hier habe man bereits über mögliche Lösungswege gesprochen: Die kroatische Adria-Pipeline solle ihre Kapazitäten innerhalb der nächsten 60 Tage erhöhen, um auch Ungarn zu versorgen. Es brauche Investitionen, so von der Leyen. "Auch die Raffinerien Ungarns brauchen ein Update, denn das russische Öl ist von anderer Qualität als das Öl aus der Adria-Pipeline", erläuterte sie.
Erkämpfte Garantien für Ungarn
Ob und wie viel finanzielle Unterstützung Ungarn dafür aus EU-Töpfen erhält, ließen sowohl von der Leyen als auch Ratspräsident Michel offen. Klar ist, Ungarn konnte sich Garantien erkämpfen, falls es im weiteren Kriegsverlauf zu Ausfällen bei der Druschba-Pipeline kommt. Die EU-Botschafterinnen und Botschafter haben nun die Aufgabe, voraussichtlich bis Mittwoch die politische Einigung in ein Regelwerk zu überführen.
Vorangegangen war den Verhandlungen über das sechste Sanktionspaket eine Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. In einem Statement, aufgenommen am späteren Abend, sagte er dann:
Ich glaube, dass Europa so oder so wegkommen muss von russischem Öl und Ölprodukten. Es geht hier nämlich um die Abhängigkeit Europas von Russlands Energiewaffen. Und je schneller das passiert, je mehr es wirklich ein Embargo ist, desto größer wird auch der Profit für Europa sein.
Wolodymyr Selenskyj wurde per Video zugeschaltet.
Einigung auf finanzielle Unterstützung
Außerdem konnten sich die EU-Vertreter in Brüssel auf finanzielle Unterstützung für die Ukraine einigen. Neun Milliarden Euro sollen noch in diesem Jahr an die Ukraine überwiesen werden, um ihre laufenden Kosten zu decken. Diese beliefen sich nach ukrainischen Angaben auf mindestens sechs Milliarden Euro pro Monat. Der größte Teil der Unterstützung kommt vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, Deutschland gibt eine Milliarde als Kredit dazu.
Auch am zweiten Tag des EU-Sondergipfels in Brüssel werden sich die Staats- und Regierungschefs mit schwierigen Fragen auseinandersetzen müssen: Zum Beispiel damit, wie der in der Ukraine gelagerte Weizen exportiert werden kann, um eine drohende Hungersnot einzudämmen.