Myroslaw Olijnyk
reportage

Junge Soldaten in der Ukraine Von der Schulbank in den Krieg

Stand: 23.03.2024 10:08 Uhr

Mit 25 Jahren hat Myroslaw Olijnyk bereits zehn Jahre Kampferfahrung gegen Russland. Als Maidan-Teilnehmer schloss er sich einer rechten Kampfeinheit an, ist überzeugter Nationalist - und sieht doch keine Zukunft für sich.

Von Andrea Beer, ARD Kiew

Myroslaw Olijnyk zeigt auf eine Reihe blau-gelber Graffitis an einer grauen langen Mauer in seiner Heimatstadt Pawlohrad. Die Stadt im Südosten der Ukraine ist der letzte größere Ort vor dem Donbas. "Wenn wir damals gewusst hätten, was wir heute wissen, wären die Dinge natürlich anders gelaufen", sagt er heute.

Oljinyk ist ein fahrig wirkender, lebhafter Mann und schwer zu greifen. Mit 25 hat er schon zehn Jahre im Krieg verbracht, fast sein halbes Leben. Mit 15 unterbricht er die Schule und zieht in den Krieg, den Russland nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion im Donbas beginnt. 

Es weht ein kalter Wind, Olijnyk hat die Kapuze seines schwarzen Hoodies über die kurzen blonden Haare gezogen. Fast verächtlich betrachtet er seine frühere Schule. Die Direktorin will damals nicht, dass er ukrainisch spricht, erinnert er sich und zieht an einer der vielen Zigaretten, die er auf dem Stadtrundgang rauchen wird: "Die Direktorin war eine überzeugte Kommunistin und sagte: 'Du verdammter Bengel hast die Wahl. Entweder redest du kein Ukrainisch mehr oder du verpisst dich von der Schule.' Das waren die Schimpfwörter, die sie benutzte."

Myroslaw Olijnyk

Myroslaw Olijnyk nennt sich einen überzeugten ukrainischen Nationalisten. Er will damit in erster Linie seine Abwehrhaltung gegen Angreifer Russland ausdrücken.

"Der 'Rechte Sektor' spielt keine Rolle"

Der strikt antikommunistische, rebellische Junge nimmt sie beim Wort und kehrt der ungeliebten Schule den Rücken. Er schließt sich dem Maidan in Pawlohrad an, wo die landesweite ukrainische Demokratiebewegung 2014 ebenfalls Aktivistinnen und Aktivisten auf die Straße bringt - auch aus den Reihen des sogenannten "Rechten Sektors", dem der 15-jährige Myroslaw angehört.  

2014 entsteht diese neue Partei aus einer Wehrsportgruppe. Der paramilitärische Arm des "Rechten Sektors" kämpft an der Seite der ukrainischen Armee gegen Angreifer Russland. Mitglieder des "Rechten Sektors" vertreten damals teils offen rechtsextreme Positionen, eine willkommene Steilvorlage für Moskau. Die russische Propaganda verfälscht - bis heute - den "Rechten Sektor" sowie das Asow-Regiment zur angeblich flächendeckenden rechtsextremen Bedrohung.

"Der 'Rechte Sektor' existiert als radikale nationalistische politische Kraft, aber er spielt keine bedeutende Rolle in der ukrainischen Politik", sagt Wjatscheslaw Lichatschow, der sich beim "Center for Civil Liberties" (CCL) in Kiew mit Rechtsextremismus beschäftigt. CCL ist die regierungsunabhängige Organisation von Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk. Die "goldenen Tage" des Rechten Sektor seien im Jahr 2014 gewesen, als dieser ein gewisses Potenzial gehabt habe vor allem aufgrund seiner Popularität, die er sich auf dem Maidan und in den ersten Monaten der russischen Aggression im Osten verschafft habe.

Experte: "Rechter Sektor" eher militärische Formation

Während des Spaziergangs durch Pawlohrad gibt es Raketenalarm, doch Olijnyk geht unbeeindruckt weiter. 2015 kämpft er als Freiwilliger in der Ostukraine - mit 16. Ein Jahr später geht er in die Armee, die die Freiwilligenverbände eingliedert. Er sieht sich als ukrainischen Nationalisten, ist ein Waffennarr und sähe gerne rechte Nationalisten an der Macht. Nun müssten aber alle gemeinsam gegen Russland kämpfen.

Es gäbe in der Ukraine Menschen mit rechtsextremen Ansichten, die unterschiedlich radikal sein könnten, sagt der Experte Lichatschow vom CCL: "Aber im Moment sind sie nur Soldaten der ukrainischen Streitkräfte, und es gibt keine Einheit, die ihre Unabhängigkeit artikuliert und sich politisch äußert." Nazisymbole etwa seien in der Ukraine verboten, auch in der Armee, betont er. Die Wolfsangel, die das Asow-Regiment nutzt, stünde vor allem für den ukrainischen Widerstand gegen Russland - nicht zuletzt seit den Kämpfen um Mariupol im Asowstal-Werk, nachdem Russland die heute besetzte Stadt angegriffen hatte. Symbole wie Runen oder das Sonnenrad, sagt Lichatschow, hätten natürlich eine Komponente mit Neonazi-Symbolen. Jedoch sei dies eher eine toxische männliche Kriegersubkultur, die in jeder Armee der Welt in der einen oder anderen Form vorhanden sei. 

 

Der "Rechte Sektor" sei politisch immer marginal gewesen, sagt der deutsche Ukraineexperte Andreas Umland, der das Thema seit Jahren erforscht. Die Identität des Asow-Regiments oder des "Rechten Sektors" sei hauptsächlich durch den Kampf an der Front bestimmt und weniger durch politische Ideologien. "Man kann wahrscheinlich gar nicht mehr vom 'Rechten Sektor' sprechen, sondern das ist eher jetzt eben eine militärische Formation." Nationalismus in der Ukraine sei nur teilweise rassistisch, antiliberal und antidemokratisch, sondern vor allem antiimperial.

Vielmehr werde alles durch den Krieg gegen Russland bestimmt: "Deswegen findet man in diesen Einheiten der ukrainischen Armee, die auf rechtsextreme Gruppen zurückgehen, oft auch Soldaten, die überhaupt nichts mit Rechtsextremismus am Hut haben, sondern die in diese Einheiten gehen, weil sie als besonders kampfstark und entschieden und hart gelten. Das hat dann nur noch wenig mit den ursprünglich rechtsradikalen Quellen eines Teils dieser Einheiten zu tun."

Der Ukraine-Experte Andreas Umland

Der "Rechte Sektor" sei politisch in der Ukraine immer marginal gewesen, sagt Experte Andreas Umland.

"Ich weiß, dass von 100 Leuten zehn überleben"

Myroslaw Olijnyk wirkt trotz der langen Kriegsjahre aufgeschlossen und freundlich. Er kritisiert offen, was ihm in der Armee nicht passt und seine Geschichten sind gespickt mit groben Flüchen und Schimpfwörtern, vor allem, wenn es um Russen geht. Er habe keine weiße Weste, das lässt er immer wieder durchblicken. Der Krieg hat ihn offenbar nicht zynisch werden lassen.

Nach der russischen Großinvasion 2022 wird er bei Popasna verletzt und die Armee setzt ihn als Ausbilder ein - für Kanonenfutter, wie er selbst sagt. "Ich halte mich von allen fern, denn ich weiß, dass von diesen 100 Leuten zehn überleben", sagt er. "Ich will mich an niemanden gewöhnen und bin jetzt schon traurig, weil ich sie ansehe und weiß, dass sie sterben werden."

Wie viele Soldaten spricht Myroslaw offen über seinen verlässlichsten Begleiter, den Tod. Dass er im Krieg andere töten muss, lässt ihn scheinbar nicht kalt. Einen schon verletzten Gegner im Nahkampf zu töten falle ihm schwer, sagt er.

Bei der Armee will er bleiben. Doch wie viele Menschen in der Ukraine macht er keine Pläne mehr. Vor dem 24. Februar 2022 sei das anders gewesen: Er wollte mit Freunden in die Karpaten und habe davon geträumt, Offizier zu werden. "Jetzt sehe ich keine Zukunft mehr."

Andrea Beer, ARD Kiew, tagesschau, 21.03.2024 12:20 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Europamagazin am 23. März 2024 um 12:45 Uhr.