Krieg gegen die Ukraine Wenig Hoffnung auf Befreiung von Mariupol
Für die Soldaten im belagerten Asowstal-Werk gibt es laut Ukraine wenig Hoffnung. Eine ukrainische Offensive in Mariupol ist unwahrscheinlich, ein möglicher Austausch gegen russische Gefangene schwierig.
Die ukrainische Militärführung hat Hoffnungen gedämpft, die im Stahlwerk von Mariupol eingeschlossenen Kämpfer mit einer Offensive zu befreien. "Stand heute würde eine solche Operation zur Deblockierung eine beträchtliche Anzahl von Truppen erfordern, weil die ukrainischen Streitkräfte 150 bis 200 Kilometer von Mariupol entfernt sind", sagte der stellvertretende Generalstabschef Olexij Hromow. Da die russischen Truppen zudem inzwischen mächtige Verteidigungsanlagen gebaut hätten, wäre ein solcher Einsatz mit vielen Opfern verbunden.
Die Ukraine schlug Russland vor, schwer verletzte Soldaten aus dem Stahlwerk gegen russische Kriegsgefangene auszutauschen. "Wir bringen unsere Schwerverletzten aus Asowstal entlang des humanitären Korridors", schrieb die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk bei Telegram. Im Gegenzug würden russische Gefangene nach den "Standardregeln des Gefangenenaustauschs" übergeben. "Es gibt noch keine Einigung. Die Verhandlungen werden fortgesetzt", schrieb Wereschtschuk.
1000 Soldaten verharren in Asowstal-Werk
Seit mehr als zwei Monaten wird die Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine von russischen Truppen belagert. Die letzten ukrainischen Kämpfer, neben Marineinfanteristen auch Einheiten des nationalistischen Asow-Regiments, haben sich im dortigen Stahlwerk verschanzt. Sie fordern von der Führung in Kiew und der internationalen Gemeinschaft, sich für ihre Rettung einzusetzen - entweder mit diplomatischen oder mit militärischen Mitteln.
Zuletzt waren etwa 500 Zivilistinnen und Zivilisten, die sich ebenfalls in dem Stahlwerk aufhielten, über Fluchtrouten gerettet worden. Einen freien Abzug der Kämpfer lehnt Russland jedoch ab. Sie sollen die Waffen niederlegen und sich in Gefangenschaft begeben. Nach Angaben von Wereschtschuk halten sich in der Fabrik noch rund 1000 Verteidiger auf, die Hälfte von ihnen sei verletzt. Nach russischen Angaben sollen sich 2500 ukrainische Kämpfer und ausländische Söldner im Stahlwerk befinden.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Russische Gebiete in Grenznähe berichten von Angriffen
Die russischen Regionen Belgorod und Kursk nahe der ukrainischen Grenze berichteten unterdessen von neuen Angriffen aus dem Nachbarland. Der Gouverneur des Gebiets Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, teilte über Telegram mit, dass beim Beschuss des Dorfes Solochi ein Mensch getötet und drei weitere Einwohner verletzt worden seien. Zunächst hatte er von einem Verletzten und von Zerstörungen in dem Ort gesprochen. Ein Mensch sei im Krankenwagen gestorben, so Gladkow. Es sei die bisher schwerste Lage seit Beginn des Beschusses. Die Angaben waren nicht von unabhängiger Seite überprüfbar.
Im Gebiet Kursk wurde nach Behördenangaben von der russischen Luftabwehr eine ukrainische Drohne abgeschossen. Es sei niemand verletzt worden, hieß es. In Kursk gilt eine erhöhte Warnstufe der Terrorgefahr, die wegen anderer Vorfälle in den vergangenen Wochen bis zum 25. Mai verlängert wurde. Die Grenzregionen, darunter auch Brjansk und Woronesch, hatten wiederholt einen Beschuss von ukrainischer Seite gemeldet. Die Ukraine weist Vorwürfe, Ziele wie Munitionsdepots oder Kraftstofflager im Nachbarland beschossen zu haben, in der Regel zurück.
Russland hatte gedroht, Kommandostellen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew als Ziele seiner Raketenangriffe ins Visier zu nehmen, sollte der Beschuss nicht aufhören.
Selenskyj telefoniert mit Scholz
In einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz über die aktuelle Lage und zum Verhandlungsprozess zwischen der Ukraine und Russland zur Beendigung des Krieges informiert. Scholz habe betont, dass Russland aufgerufen bleibe, die Kampfhandlungen in der Ukraine unmittelbar zu beenden, die Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen und damit die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine wiederherzustellen, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach dem Gespräch mit.
Der Bundeskanzler und der ukrainische Präsident tauschten sich darüber hinaus über ganz konkrete, praktische Möglichkeiten der weiteren Unterstützung der Ukraine aus und verabredeten, weiterhin eng in Kontakt zu bleiben, hieß es.
Dabei seien Unterstützung bei der Verteidigung, eine Zusammenarbeit auf dem Energiesektor und eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland besprochen worden, schrieb Selenskyj auf Twitter. "Wir schätzen das hohe Niveau des Dialogs mit Deutschland und die Unterstützung in unserem Kampf", so Selenskyj.