Alltag in Mykolajiw Reparieren - lohnt sich das überhaupt?
Mykolajiw im Süden der Ukraine wird zwar immer wieder mit Raketen beschossen, bemüht sich aber, die beschädigten Gebäude irgendwie zu reparieren. Doch Baumaterial ist knapp und teuer - und niemand weiß: Lohnt sich das?
Rentnerin Ljudmila steht vor dem teilzerstörten Mehrfamilienhaus in Mykolajiw. Die Stadt im Süden der Ukraine liegt rund 30 Kilometer von der Front entfernt und wird regelmäßig angegriffen. Auch in Ljudmilas Viertel schlugen mehrfach russische Raketen ein, und ihre zerstörerische Wucht hat die hellbraunen Wohnblocks stark beschädigt.
Balkons wurden abgerissen, Türen und Fenster sind zerborsten. Die Treppenhäuser sind voller Löcher von Schrapnell, und an vielen Wänden klebt noch Blut.
Mehr als 130 Menschen wurden seit dem russischen Angriff am 24. Februar getötet, es gab rund 620 Verletzte. Allein in Mykolajiw sind insgesamt 1200 Mehr- und Einfamilienhäuser beschädigt. Die Stadt untersucht nun Statik und Baufälligkeit, viele Gebäude müssen abgerissen werden.
Viele Fenster sind mit hellen Sperrholzplatten oder dicker Plastikfolie notdürftig repariert. Doch nach dem Angriff ist vor dem Angriff, und dass sich ein Glasfenster lohnt, bezweifeln viele, auch Ljudmila. Sie hat zwar eine neue Glasscheibe bestellt, fragt sich aber, wer jetzt noch große Reparaturen macht - und ob sie die bezahlen kann. Geld habe sie dafür keines mehr.
Abdichten, irgendwie, um bleiben zu können. Für die Bewohner von Mykolajiw sind diese Reparaturen gerade mit Blick auf den Winter existentiell.
Sperrholz statt Glas
Glas sei deutlich teurer als die Provisorien aus Holz oder Plastik, erzählt der Handwerker. Er bietet neue Türen und Fenster auf Abrisszetteln an, die reihenweise an Haustüren und Briefkästen hängen.
Der Einbau von Sperrholzplatten koste mit Material umgerechnet etwa 15 Euro - weit weniger als das billigste Glas, denn da liege der Quadratmeter umgerechnet bei knapp 40 Euro, mit mindestens zwei Wochen Wartezeit, gibt der Handwerker am Telefon Auskunft. Denn die Produktion stocke, da auch das Industriegebiet von Mykolajiw immer wieder russischen Angriffen ausgesetzt sei.
Wer keinen Handwerker kennt, findet auf Abrisszetteln an Hauswänden Informationen über Fachleute, die ihre Dienste anbieten.
Die Produktion läuft nur langsam wieder an
In der Tat haben viele Firmen deswegen geschlossen. Auch die Türen- und Fensterfabrik Tribotechnika wurde mehrfach angegriffen, die Mitarbeiter haben einen ganzen Sack voller Raketenreste gesammelt Seit Mitte März hat das Unternehmen die Arbeit wieder aufgenommen, kommt derzeit aber nur auf etwa 30 Prozent der Vorkriegsproduktion.
30 von etwa 60 Mitarbeiter seien zwar geblieben, sagt Direktor Juri Klimenko. Doch die Arbeit sei nur eingeschränkt möglich und dauere länger wegen Luftalarmen, Beschuss oder wenigen öffentlichen Verkehrsmitteln, mit denen die Mitarbeiter zur Arbeit kommen können.
Mühsame Beschaffung von Material
Die Vorräte in den Lagern gingen zur Neige und auch die Logistik sei schwierig und teurer geworden. Die Schwarzmeer-Hafen sind blockiert, Zulieferfirmen liegen in den russisch besetzten Gebieten und Klimenko muss selbst importieren, zum Beispiel über den Donauhafen Ismajil. Er und seine Mitarbeiter fahren oft selbst zu den Produzenten, um Dinge abzuholen, da niemand mehr in die gefährliche Region Mykolajiew kommen wolle.
Nennenswerten Gewinn erwirtschafte er damit nicht. Er komme auf 10 bis 15 Prozent Profit, sagt Klimenko, mit dem er Gehälter und Material bezahle. Nicht einmal alle eigenen Fenster, die durch die Angriffe kaputtgegangen sind, hat die Firma schon wieder eingesetzt. Und Klimenko sorgt sich um Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser, denn der Winter naht und schon im September wird es empfindlich kalt.
Alles sei schwierig, doch andere in der Branche habe es viel schlimmer getroffen, sagt Klimenko und erzählt von einem Freund, der einen Glasbetrieb im russisch besetzten Cherson besitze - der sei "völlig ausgeraubt" worden. Deshalb sei seine Aufgabe als Besitzer und Direktor, "das Team zusammenzuhalten und den Menschen die Möglichkeit zu geben, Geld zu verdienen, damit sie ihre Familien ernähren können".
On Häuser wie dieses auf Dauer stehen bleiben können, müssen nun Experten der Stadt Mykolajiw entscheiden.
Und was passiert jetzt?
Alltag in einer vom Krieg gezeichneten Stadt - und die ständige Ungewissheit, ob die Angriffe, die bis heute nicht aufgehört haben, nicht wieder an Intensität zunehmen werden. Ljudmila kämpft immer wieder mit den Tränen: "Man weiß ja nicht, was noch kommt. Was soll ich sagen, wenn die Menschen hier einen solchen Kummer haben. Ich möchte einfach nur weinen."