Umweltzerstörung in Donezk "Wo Krieg herrscht, verlieren wir die Natur"
Verwüstete Nationalparks, Schwermetalle aus Munition im Boden, Schadstoffe im Wasser - Russlands Invasion zerstört in der Ukraine auch das ökologische Gleichgewicht.
Bisher blieb sie vom Krieg verschont: die älteste Eiche des Nationalparks Swjati Hory im Gebiet Donezk. Sie ist rund 650 Jahre alt, fast dreißig Meter hoch, hat einen Umfang von sechs Metern und steht in einem verminten Wald. Serhij Natrus kann deswegen nicht nach der Eiche schauen. Aber der Leiter der Abteilung Ökologie der Gebietsverwaltung Donezk weiß zumindest: Der berühmteste Baum der Gegend ist unbeschadet. "Mehrere Organisationen haben Satellitenbilder gemacht, die zeigen, dass die Eiche nicht verbrannt ist. Insgesamt sind bereits 80 Prozent des Nationalparks von Granaten getroffen worden, etwa 18.000 Hektar Wald sind durch Brände beschädigt."
Wälder und Steppen verwüstet
Natrus und sein Team müssen zurzeit den Niedergang ihrer jahrelangen Umweltpädagogik, Forschungs- und Naturschutzarbeit miterleben. Schwarz verbrannte Eichen- und Kiefernwälder, Raketenteile, zerstörtes Kampfgerät oder ausgebrannte Autos säumen den Weg durch den Nationalpark nach Swjatohirsk.
Der Ort rund 50 Kilometer nördlich von Kramatorsk war früher ein beliebter Ausgangspunkt für Ausflüge in den Nationalpark, der zu den schönsten der Region gehörte. Von Anfang Juni 2022 bis zur Rückeroberung durch die ukrainische Armee Mitte September hielten russische Truppen die Gegend um Swjatohirsk besetzt.
Nun sind viele Wälder und Steppenlandschaften verwüstet, vermint oder aufgrund russischer Besatzung oder wegen Kämpfen nicht zugänglich. Messstationen und Überwachungsanlagen der Naturschützer sind zerstört oder mussten abgebaut werden. Und so fehlen aktuelle Daten über Schadstoffe in Böden, Luft, Flüssen, Seen oder im Grundwasser.
Serhij Natrus ist Leiter der Abteilung Ökologie der Gebietsverwaltung Donezk. Er schätzt, dass es vier Jahrzehnte dauert, bis sich die Natur regeneriert.
Zerstörte Industrie-, Abfall- und Kläranlagen
Das Gebiet Donezk hat zahlreiche Schutzgebiete mit Steppen-, Wiesen- und Sumpfvegetation sowie einer bemerkenswerten Pflanzen- und Artenvielfalt. Die berühmte Eiche wächst in einem der ältesten Eichenwälder der Ostukraine - in einer Region, in der erbittert gekämpft wird.
"Wo Krieg herrscht, verlieren wir die Natur", konstatiert Natrus. Denn auch zerstörte Dämme, Fabriken, Wasserwerke, Biogas-, Abfall- und Kläranlagen verursachen erhebliche Probleme. "Explodierte Munition verseucht den Boden mit Schwermetallen", erläutert Natrus. "Wälder sind beschädigt, und ohne Kläranlagen fließen die Abwässer direkt in die Flüsse. Viele Tiere sind verschwunden und für große Tiere wie Elche oder Hirsche sind Minen und Stolperfallen das größte Problem. Ein weiterer Schlag war, dass die Invasion mit der Brutzeit zusammenfiel."
Der Fluss Siwerskyj Donez versorgt den gesamten Donbass mit Trinkwasser. Jetzt wurden Stickstoff, Erdöl, Pestizide und Schwermetalle in seinem Wasser nachgewiesen.
Pestizide und Schwermetalle im Trinkwasser
Auch das Wasser ist verseucht. Nach der russischen Großinvasion wurden laut der regionalen Umweltbehörde im Siwerskyj Donez mehr Schadstoffe nachgewiesen. Der Fluss versorgt den gesamten Donbass mit Trinkwasser. Jetzt wurden unter anderem Stickstoff, Erdöl, Pestizide und Schwermetalle gefunden, so eine Auflistung der Umweltexperten vor Ort.
Im Gebiet Donezk wird Kohle abgebaut, und durch unkontrolliertes Fluten eilig geschlossener Bergwerke könnten Grundwasser und Böden mit Minenwasser oder gefährlichen Stoffen aus Abraumhalden belastet werden, so die Befürchtung.
Auf einem Kreidefelsen über dem Siwerskyj Donez steht das Kloster Swjatohirsk, das bei Kämpfen ebenfalls beschädigt wurde. Unten am Ufer lässt Natrus den Blick schweifen. Die Brücke ragt nur noch halb über den Fluss. Die ukrainische Armee soll sie während der Kämpfe gegen russische Truppen gesprengt haben. Durch die Zerstörung von Wasserinfrastruktur, etwa der Dämme, sei der Pegel des Flusses um 1,5 Meter gesunken.
Verbrannte Bäume im Gebiet Donezk. Es könnte vier Jahrzehnte dauern, bis die Natur sich regeneriert.
Regeneration der Natur dauert Jahrzehnte
Einige Kilometer außerhalb von Swjatohirsk liegt das Gelände der regionalen Umweltverwaltung in Trümmern. Der letzte Schnee knirscht unter den Füßen von Serhij Natrus und Andrij Sujakow, Vizedirektor des Schutzgebietes Kleban-Byk. Bedrückt stehen sie vor der zerschossenen Verwaltung des Nationalparks Swjati Hory.
Gepanzerte Kettenfahrzeuge und Mehrfachraketenwerfer liegen zwischen den Ruinen der Gebäude für Forschung, Saatgut, Aufforstung oder dem kleinen Bauernhof. Im März 2022 schlug zudem eine Rakete in das Kramatorsker Büro ein. Glücklicherweise kam niemand ums Leben, doch Fenster, Türen, Computer, Mobiliar oder Unterlagen sind beschädigt, erzählt Andrij Sujakow: "Unsere wissenschaftliche Abteilung arbeitet jetzt vor allem Online. Wir recherchieren und studieren Satellitenbilder. Ein wenig heilt die Natur wohl von selbst." Aber nun sei vor allem das Minenräumen wichtig.
Über dem zerstörten Zentrum des Nationalparks Swjati Hory ragt ein hoher Beobachtungsturm einsam in die Höhe. Seine 360-Grad-Kameras konnten Rauch im Umkreis von 30 Kilometern erkennen und damit Waldbrände verhindern. Nun hat sich Artilleriefeuer gnadenlos durch die Natur gefressen. Es könnte vier Jahrzehnte dauern, bis sie sich regeneriert, schätzt Natrus.
Sujakow hat sich entschlossen, es so zu sehen: "Vor 80 Jahren haben unsere Großväter diese Wälder nach dem Zweiten Weltkrieg wiederhergestellt - und wir müssen jetzt das Gleiche tun."