Debatte um Offensive der Ukraine "Es wird sehr viele Überraschungen geben"
Knapp ein Fünftel der Ukraine ist russisch besetzt. Regierung und Armee stehen unter Druck, mit der Rückeroberung zu beginnen. Nun gibt es Spekulationen, dies könnte in der Region Saporischschja starten.
Ukrainische Soldaten beim Training im Gebiet Donezk im Donbass. Sie wappneten sich unter anderem für einen möglichen russischen Angriff mit chemischen Waffen, erzählt einer von ihnen. "Seit der russischen Invasion gibt es auch eine ständige Bedrohung durch Angriffe mit chemischen Waffen. Deswegen üben wir, giftige Substanzen und hohe Verstrahlung zu erkennen. Seit wir gute moderne Ausrüstung haben, geht das auch viel besser als bisher."
Knapp ein Fünftel der Ukraine ist derzeit russisch besetzt und die ersehnte militärische Rückeroberung hat bisher nicht erkennbar begonnen. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte sinngemäß, eine Gegenoffensive könne nicht ohne weitere Waffenlieferungen der Verbündeten beginnen.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Offenbar stehen zu wenig Panzer bereit
Die Ukraine kämpft sowohl mit alten sowjetischen als auch mit westlichen Waffen. Doch es fehlt an Artilleriemunition und an schweren Waffen: So kamen laut der "Neuen Züricher Zeitung" bis Ende April weit weniger moderne westliche Panzer an als zugesagt. Von mehr als 130 erwarteten "M2 Abrams"-, "Challenger"- und "Leopard 2"-Panzern seien nur rund 70 geliefert worden.
Wo und wie die Ukraine eine Offensive beginnen könnte, ist naturgemäß nicht bekannt. Spekuliert wird über einen Vorstoß im Süden, um die russisch besetzten Gebiete zu teilen und die russische Landverbindung zur besetzten Krim zu blockieren.
Geheimdienstchef: Russische Armee zur Verteidigung fähig
Der Kiewer Militärbeobachter Oleh Schdanow analysierte es im ukrainischen Fernsehen so: "Wir stürmen nicht mehr Stellungen so wie im Zweiten Weltkrieg. Glücklicherweise helfen uns unsere Partner mit moderner Kriegsführung - einschließlich offensiven Manövern. Was die Taktik unserer Truppen bei einer Gegenoffensive betrifft, wird es sehr viele Überraschungen geben, vor allem für das russische Militärkommando."
Moskau sei momentan nicht zu einer ernsthaften Offensive in der Ukraine in der Lage, erklärte der ukrainischen Geheimdienstchef Kyrylo Budanow gegenüber "YahooNews". Russland habe "kein militärisches, wirtschaftliches oder politisches Potenzial und kaum noch Raketen".
Zur Verteidigung sei die russische Armee jedoch durchaus fähig und dies sei für die Gegenoffensive ein ernstes Problem.
Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: Von Russland annektierte Gebiete.
Russland bringt Bewohner weg
Eine Offensive im Süden könnte vom ukrainisch kontrollierten Gebiet Saporischschja ausgehen. Die russischen Besatzer der Region gaben bekannt, ganze Gemeinden aus der Region wegzubringen.
"Wie immer wenn es für die Raschisten schwierig wird, täuschen sie vor, sich um die Menschen zu kümmern. Das erleben wir nun wieder auf der linken Uferseite in der Region um Cherson", erklärte die Sprecherin der südlichen Streitkräfte der Ukraine, Natalja Humenjuk, im ukrainischen Fernsehen. Als Raschisten werden Russen in der Ukraine bezeichnet. Es ist eine Kombination aus den Worten "Russland" und "Faschismus". "Sie geben vor, sich zu kümmern, aber in Wirklichkeit bringen sie die Menschen zu russischen Verteidigungslinien", sagte Humenjuk weiter. "Die Russen versuchen auch Stellungen und Truppen so zu verlegen, dass sie sich hinter den Bewohnern verstecken können."
Im Süden liegt auch das russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Rafael Grossi, warnte am Wochenende erneut, die nukleare Sicherheit sei nicht gegeben. Die ukrainischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort stünden zunehmend unter Stress. Sie leben direkt neben der Atomanlage in der Stadt Enerhodar.
"Aktiv für eine Evakuierung geworben"
Der gewählte Bürgermeister Dmytro Orlow musste in die Gebietshauptstadt Saporischschja fliehen, hält aber engen Kontakt zu den Menschen in Enerhodar. "Vor etwa einer Woche wurde Ausrüstung und die Dokumentation aus der Verwaltung entfernt und es wurde eine Stelle geschaffen, wo man den Pass der Feinde bekommen kann", beschrieb Orlow die Lage in einem Telefonat mit der ARD. "Am Wochenende wurde aktiv für eine Evakuierung geworben, zur Zeit noch freiwillig an die Küste des Asowschen Meers oder auf das Gebiet der besetzten Krim oder nach Russland." Verschiedene Menschen seien weggebracht worden.
Während ukrainische Soldaten weiter für ihren gefährlichen Einsatz gegen die russischen Angreifer trainieren, steht die ukrainische Führung von Politik und Armee unter Erfolgsdruck. Verteidigungsminister Oleksii Resnikow formulierte es in der "Washington Post" so: "Viele Menschen hätten hohe Erwartungen, die enttäuscht werden könnten."