Evakuierung ukrainischer Städte Ukraine lehnt russische Fluchtrouten ab
Am Morgen hatte Russland angekündigt, dass vier Städte der Ukraine evakuiert werden sollten - auf eigens vorgeschlagenen Fluchtrouten. Doch die hätten die Menschen teils nach Russland und Belarus geführt. Die Ukraine lehnt das klar ab.
Die Angriffe russischer Truppen auf Städte in der Ukraine nehmen immer mehr an Härte zu. Die dort lebende Bevölkerung in Sicherheit zu bringen, gestaltet sich als immense Herausforderung. Noch am Morgen hatte Russland angekündigt, dass in vier Städten Evakuierungen stattfinden sollen - doch nun kommt von der ukrainischen Regierung klarer Widerstand.
Denn für die Evakuierungen der Hauptstadt Kiew sowie der Städte Charkiw, Sumy und Mariupol hatte Russland Fluchtrouten über sechs sogenannte humanitäre Korridore vorgeschlagen. Doch fast alle dieser Routen hatten entweder Russland selbst oder das verbündete Belarus als Ziel.
Ukraine spricht von inakzeptablem Vorschlag
"Das ist keine akzeptable Option", erklärte die stellvertretende ukrainische Regierungschefin Iryna Wereschtschuk. Zivilisten würden "nicht nach Belarus gehen, um dann nach Russland zu fliegen".
Ähnlich hatte sich zuvor auch ein Sprecher des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einer schriftlichen Erklärung geäußert. "Bürger der Ukraine" sollten auch "das Recht haben, in ukrainisches Territorium" gebracht zu werden. Selenskyjs Sprecher warf Russland vor, mit seinem Vorstoß für die Evakuierungen nur "das Leid der Menschen" auszunutzen, "um die gewünschten TV-Bilder zu schaffen".
Wereschtschuk richtete einen deutlichen Appell an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron: Er dürfe sich nicht von Russland benutzen lassen. Macron hatte am Wochenende in einem Telefonat mit Putin auf Evakuierungen und die dafür nötigen Feuerpausen gedrängt - woraufhin das russische Verteidigungsministerium am Morgen mitteilte, diesem persönlichen Ersuchen Macrons mit seinen Vorschlägen für die Waffenruhen und Fluchtmöglichkeiten in Kiew, Charkiw, Mariupol und Sumy nachzukommen.
Von Kiew nach Belarus und dann nach Russland
Die Feuerpausen sollten bereits ab 8 Uhr Mitteleuropäischer Zeit in Kraft treten, wie die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das russische Militär berichtete.
Die Einwohnerinnen und Einwohner aus Kiew sollten den Plänen Moskaus zufolge zunächst nach Gomel in Belarus gefahren und von dort nach Russland geflogen werden. Von Mariupol aus sollten Zivilisten in die südrussische Stadt Rostow gebracht werden. Später berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass aus Mariupol auch ein humanitärer Korridor in die rund drei Stunden entfernte Stadt Saporischschja führen sollte. Flüchtende aus Sumy sollten in der zentralukrainischen Stadt Poltawa vorübergehend eine Unterkunft finden.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Sämtliche Städte Ziel russischer Offensive
Alle vier Städte, für die Russland die Feuerpausen angekündigt hatte, waren in den vergangenen Tagen das Ziel immer stärkerer Angriffe Russlands geworden. In der Nacht zu Montag hatten russische Truppen ihre Angriffe auf mehrere Orte noch verstärkt. Neben Sumy gerät auch die Stadt Mykolajew im Süden des Landes immer stärker unter Druck. Die Hafenstadt Mariupol wird bereits seit Tagen umkämpft.
Für die Hauptstadt Kiew erwartet der ukrainische Generalstab einen unmittelbar bevorstehenden Angriff. Russland habe begonnen, Truppen und Ressourcen rund um Kiew noch stärker zusammenzuziehen.
Die Millionenstadt Charkiw wurde erneut Ziel von Luftangriffen. Wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) mitteilte, wurde in der Stadt auch ein Atomlabor zerstört. Es war nach ukrainischen Angaben am Sonntag beschossen worden. Es sei aber keine Strahlung ausgetreten. Das Physik- und Technologieinstitut verfügte laut IAEA über einen Neutronengenerator, mit dem Neutronen für wissenschaftliche Zwecke erzeugt wurden. Es lagerten aber nur sehr kleine Mengen nuklearen Materials in dem Institut.
Bereits zwei Versuche in Mariupol gescheitert
In Mariupol hatte es bereits zwei Versuche gegeben, die Stadt zu evakuieren. Doch sowohl am Samstag als auch am Sonntag wurde die dafür erforderliche Feuerpause nicht eingehalten. Russland und die Ukraine geben sich gegenseitig die Schuld dafür.
Mariupol ist mit einer Einwohnerzahl von etwa 440.000 eine der größten Städte der Ukraine. Behörden hatten gehofft, dass am Wochenende etwa 200.000 Menschen über den bis in die Stadt Saporischschja eingerichteten humanitären Korridor in Sicherheit gebracht werden könnten. Auch den Einwohnerinnen und Einwohnern der nahegelegenen Kleinstadt Wolnowacha sollte die Chance zur Flucht gegeben werden.
Doch am Samstag wurde die Evakuierung von den Behörden Mariupols verschoben, am Sonntag wurde sie abgebrochen. Russische Separatisten hatten mitgeteilt, dass bei dem zweiten Versuch zumindest 300 Menschen Mariupol hätten verlassen können. Von ukrainischer Seite wurden diese Angaben jedoch nicht bestätigt. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sprach von einem gescheiterten zweiten Versuch einer Evakuierung.