Ukrainische Truppen in Bachmut "Kein Tod eines Soldaten ist vergebens"
Bachmut in der ostukrainischen Region Donezk ist hart umkämpft. Der Kampfgeist der ukrainischen Soldaten scheint ungebrochen, wie Andrea Beer berichtet. Sie hat mit Kommandeur Oleksandr gesprochen.
Ukrainische Soldaten schießen aus einem gepanzerten Fahrzeug. Sie springen heraus, rufen und fluchen, während sie rennen und weiter gegen russische Stellungen schießen. Die Aufnahmen aus der Region Donezk im Donbass hat die ukrainische Armee veröffentlicht. Nach deren Angaben zeigen sie die dritte Angriffsbrigade.
Auch Oleksandr ist im Donbass eingesetzt. Der 57-Jährige kämpft seit rund acht Monaten nahe Bachmut, er weiß also, wovon er spricht. Weil er Schmerzen in der Herzgegend hat, lässt er sich in Charkiw medizinisch untersuchen und nimmt sich im Krankenhaus Zeit für ein Telefonat. Bisher sei er selten direkt auf den Feind getroffen, um ihn zu töten, erzählt er. Bei Kämpfen sei er 300 bis 500 Meter entfernt gewesen.
Situation an der Front schwierig
"Viele Kameraden haben die ukrainische Fahne in ihren Rucksäcken. Wenn man sich besser kennt und gemeinsam eine Schlacht geschlagen hat, unterschreibt man auf den Fahnen der anderen. Man formuliert Wünsche oder schreibt seine Telefonnummer auf", erzählt Oleksandr. Er stammt aus Cherson im Süden des Landes und war im zivilen Leben Schiffbauer und Bauarbeiter. Er ist geschieden, hat eine Tochter in Rumänien und einen Sohn. Jetzt kommandiert er eine Einheit der vierten Panzerbrigade im bisher längsten Kampf mit den russischen Angreifern um Bachmut.
Wie viele seiner Brigade getötet worden sind, könne er nicht sagen. Aber ganz vorne an der "Linie Null" sei es schwierig. Aber Oleksandr möchte dorthin zurück. "Ich habe das Gefühl, dass die Jungs meine Anwesenheit möchten. Es kommen viele junge Leute zu uns, als Nachschub. Und sie vertrauen mir, vertrauen einfach meiner Lebenserfahrung. Ich will meinen Leuten aber keine Last sein, wenn wir wieder in den Kampf geschickt werden. Denn das ist ein Krieg, in dem die Evakuierung von Verwundeten und Getöteten ein sehr großes Problem ist."
"Russland hat keine Taktik"
Die russische Seite habe keine Strategie, sondern einfach nur viele Menschen und viel militärisches Gerät noch aus Zeiten der Sowjetunion - eine scheinbar unendliche Reserve, die wie eine Walze die Ukraine platt machen wolle. Seine Einheit sei motiviert, auch wenn die russische Artillerie sehr quälend sei. Die Angreifer hätten aber weder Strategie noch Taktik, so Oleksandr, dessen Nachname nicht öffentlich genannt werden soll.
"Natürlich haben sie speziell ausgebildete Leute, unter ihnen die Wagner-Söldner, die schon mehrere Kriege mitgemacht haben und kämpfen können. Sie sind jetzt im Donbass, Bachmut, Soledar, Jakowliwka, Makijiwka, diese Richtung. Wir halten dort die Stellung, denn wenn wir die Wagnerleute in der Region Bachmut aufhalten können, dann haben unsere Soldaten in der Region Cherson die Möglichkeit die Russen zu vertreiben."
Mehrere Soldaten wohl in russischer Gefangenschaft
Seine Einheit habe die Aufgabe, die Linie zu halten und zu durchbrechen - gemeinsam mit weiteren Brigaden, die bestimmte Sektoren verteidigen würden. Einmal wurden wir in einem Haus mit russischer Artillerie beschossen. Es stürzte ein und begann zu brennen, so Oleksandr. Einige Soldaten seien im Keller verschüttet gewesen und Wagner-Söldnern in die Hände gefallen. "Wahrscheinlich mussten sie sich ergeben", meint er. Sechs Soldaten seiner Einheit seien in russische Gefangenschaft geraten, und auch er habe Angst, gefangen genommen zu werden.
Einige Straßen in Bachmut hätte die ukrainische Seite zurückerobert, erzählt Oleksandr. Die ukrainische Armee führe wirksame Gegenangriffe aus, so beschrieb auch der Befehlshaber der Bodentruppen Oleksandr Syrsky die Lage auf Telegram. An bestimmten Frontabschnitten habe sich die russische Seite bis zu zwei Kilometer weit zurückziehen müssen.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Warten auf ukrainische Gegenoffensive
Laut Syrskyj starteten die ukrainischen Einheiten rund um Bachmut Gegenangriffe. An einigen Orten seien Wagner-Söldner inzwischen durch weniger gute Soldaten der russischen Armee ersetzt worden. Unterdessen ist die angekündigte ukrainische Gegenoffensive weiter Thema. Großbritannien liefert nun Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow liefern mit 250 Kilometer Reichweite. Laut unter anderem des britischen Fernsehsenders BBC ist ein Teil davon auch bereits angekommen.
Präsident Selenskyj blieb in der BBC zurückhaltend: "Auf einige Dinge warten wir noch, und das wird unsere Gegenoffensive verstärken. Das Wichtigste ist der Schutz unserer Bevölkerung." Kiew warte auf die entsprechenden gepanzerten Fahrzeuge, die in Teilen geliefert würden. "Damit können wir vorankommen, und ich denke, wir können erfolgreich sein. Aber wir würden dann sehr viele Menschen verlieren, und das ist inakzeptabel. Wir müssen also abwarten. Wir brauchen noch etwas Zeit", so Selenskyj.
Ukraine könne sich hohe Verluste nicht leisten
Wann und wo die vieldiskutierte ukrainische Gegenoffensive wirklich stattfindet, würde in der Ukraine niemand offiziell bestätigen. Sie hängt von vielen Faktoren ab, etwa auch vom Wetter. Sie komme, meint Oleksandr. Aber auch er hält es für besser, noch damit zu warten. In einer Gegenoffensive hätte die ukrainische Seite mehr Verluste, als die russische Seite, die ihre Linien verteidigen würde. Das könne sich die Ukraine gerade nicht leisten.
"Kein einziger Tod eines ukrainischen Soldaten ist jetzt vergebens", sagt er, aber wenn es möglich sei, das zu vermeiden, würden Kommandeure und politische Führung das tun, was er richtig finde. Oleksandr wünscht sich, dass die Sanktionen gegen Russland greifen und das Land auf diese Weise in die Knie zwingen. Gleichzeitig mache er sich keine Illusionen, dass der Angreifer zurückgeschlagen werden müsse.
Kriegsalltag vor allem für Junge belastend
"All das ist natürlich eine große Last, der nicht jeder standhalten kann. Ständig unter Beschuss stehen, verwundete und tote Kameraden sehen - das kann nicht jeder problemlos ertragen. Ich bin 57, habe in meinem Leben schon viel gesehen, wie man so schön sagt, und bin mehr oder weniger ruhig. Den Jüngeren geht es schlechter, und dann kann wenig reichen, dass ein Mensch zerbricht", so Oleksandr.
Gesundheitlich gibt es zumindest eine halbwegs gute Nachricht: Den Schmerz in seiner Brust verursachte nicht ein krankes Herz, sondern die Wirbelsäule.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Text um die Information ergänzt, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung laut Medienberichten bereits Teile der von Großbritannien gelieferten Marschflugkörper in der Ukraine angekommen waren.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen