Etwa 1,4 Millionen Menschen Zahl der Kriegsflüchtlinge steigt weiter
Wegen des Krieges sind nach UN-Angaben bereits etwa 1,4 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Die meisten hätten in Polen Zuflucht gesucht. US-Außenminister Blinken dankte dem Land für seine "Großzügigkeit und Führungsstärke".
Die Zahl der seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohenen Menschen hat nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 1,45 Millionen erreicht. Allein 787.300 Flüchtende aus der Ukraine seien nach Polen gegangen, teilte die UN-Migrationsbehörde mit. Etwa 228.700 Menschen seien nach Moldau geflohen, weitere 144.700 nach Ungarn. 132.600 Menschen seien nach Rumänien gegangen, 100.500 in die Slowakei. Die Organisation berief sich auf Zahlenangaben der Regierungen der Länder, in denen die Menschen aus der Ukraine Schutz gesucht haben.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bezifferte die Zahl der aus der Ukraine geflohenen Menschen auf seiner Internetseite auf mindestens 1,36 Millionen. Das sind fast 160.000 Menschen mehr als noch am Vortag. Demnach dürfte die Zahl der täglich außer Landes Flüchtenden angesichts sich intensivierender Kämpfe weiter steigen. "Wenn es nicht ein sofortiges Ende des Konfliktes gibt, werden Millionen weitere Menschen wahrscheinlich gezwungen sein zu fliehen", erklärte das UNHCR auf Twitter.
Bis zu zehn Millionen Flüchtlinge möglich
Die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge könnte nach Einschätzung des UNHCR bis zum Ende des Wochenendes auf 1,5 Millionen ansteigen. Insgesamt könnten nach UN-Angaben vier Millionen Menschen die Ukraine verlassen wollen. Bis zum russischen Einmarsch in die Ukraine lebten in den von der Regierung in Kiew kontrollierten Gebieten gut 37 Millionen Menschen.
Migrationsforscher Gerald Knaus hält es sogar für möglich, dass insgesamt zehn Millionen Menschen aus der Ukraine flüchten werden. "Putins Kriegsführung in Tschetschenien hat dazu geführt, dass ein Viertel der Tschetschenen vertrieben worden sind. Darauf müssen wir uns einstellen", sagte Knaus dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Ein Viertel der Ukrainer entspräche zehn Millionen Menschen. Das ist bei der aktuellen Dynamik durchaus möglich."
In einer Woche hätten bereits so viele Menschen die EU erreicht wie im gesamten Bosnienkrieg, sagte Knaus. Er sprach von "der schnellsten und größten Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg".
Bis zu 225.000 Flüchtlinge in Deutschland erwartet
Deutschland bereitet sich derweil auf die Aufnahme von Verletzten und Kranken aus dem Kriegsgebiet vor. Laut einem Bericht des "Spiegel" schätzt die Internationale Organisation für Migration (IOM), dass bis zu 225.000 Kriegsvertriebene aus der Ukraine in Deutschland Schutz suchen könnten. Das gehe aus einem internen Papier der Bundesregierung hervor.
Die Bundespolizei registrierte in Deutschland bislang 27.491 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Das teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mit. Zugleich wies er darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine deutlich höher sein könnte, da die Daten der Bundespolizei auch wegen nicht existierender Grenzkontrollen nur einen Teil der Geflüchteten abbilden würden. "Da keine Grenzkontrollen stattfinden, kann die Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge tatsächlich bereits wesentlich höher sein", hieß es.
Die Zahl der Menschen, die aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine fliehen, wird demnach seit dem Beginn der russischen Angriffe am 24. Februar erfasst.
EU-Richtlinie zu "massenhaftem Zustrom" beschlossen
Die EU hatte zuletzt die Voraussetzungen für einen schnellen und unkomplizierten Schutz der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine geschaffen. Einen entsprechenden Beschluss dazu hatten die EU-Staaten einstimmig angenommen. Damit tritt erstmals eine Richtlinie für den Fall eines "massenhaften Zustroms" von Vertriebenen in Kraft. Der Schutz für die Menschen aus der Ukraine gilt zunächst für ein Jahr, kann jedoch um insgesamt zwei weitere Jahre verlängert werden. Ein langwieriges Asylverfahren ist damit nicht nötig.
Zudem haben die Schutzsuchenden unmittelbar unter anderem das Recht auf Sozialleistungen, Bildung, Unterkunft sowie auf eine Arbeitserlaubnis.
787.300 ukrainische Kriegsflüchtlinge in Polen
Vor allem im Nachbarland Polen haben bislang die meisten aus der Ukraine geflüchteten Menschen Zuflucht gesucht. Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes sind seit dem Beginn des Kriegs mehr als 787.300 Flüchtlinge aus der Ukraine angekommen. Allein am Freitag hätten 106.400 Menschen die Grenze passiert, teilte die Behörde per Twitter mit. Dies sei der höchste Wert innerhalb eines Tages seit Kriegsausbruch, sagte Vize-Außenminister Pawel Szefernaker. Es herrsche starker Andrang an den Aufnahmepunkten an der polnisch-ukrainischen Grenze.
Polens Regierung hat nach Angaben Szefernakers landesweit 30 solche Aufnahmepunkte eingerichtet. Weitere wurden in vielen Städten und Gemeinden von der kommunalen Selbstverwaltung aufgebaut.
Blinken: Polen mit "Großzügigkeit und Führungsstärke"
Polens Außenminister Zbigniew Rau rief Russland auf, die Angriffe auf die Zivilbevölkerung einzustellen. Beide Seiten müssten humanitäres Recht einhalten. "Aufgrund seiner eigenen schmerzlichen Erfahrungen wird Polen konsequent die Verfolgung von Kriegsverbrechen fordern", sagte Rau. Polen werde ein Zentrum zur Dokumentation der Kriegsverbrechen in der Ukraine einrichten und rechne für dieses Projekt mit Unterstützung der USA.
US-Außenminister Antony Blinken dankte Polen für sein Engagement innerhalb der NATO und bei der Aufnahme Hunderttausender Geflüchteter. Polen habe in diesem Moment der Krise für Millionen Menschen, in dem das Sicherheitsgleichgewicht in Europa bedroht sei, Großzügigkeit, Führungskraft und Entschlossenheit bewiesen, sagte Blinken in Rzeszow nach einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen Rau.
US-Präsident Biden sichert Polen Unterstützung zu
Zuvor hatte bereits US-Präsident Joe Biden seinem polnischen Kollegen Andrzej Duda für die Aufnahme der Menschen aus der Ukraine gedankt. Das Weiße Haus teilte mit, Biden und Duda hätten über "die Reaktion unserer Länder auf den unprovozierten und ungerechtfertigten Einmarsch Russlands in die Ukraine" gesprochen. Biden habe das Engagement der USA für die Sicherheit Polens und aller anderen NATO-Verbündeten bekräftigt. So hatten die USA ihre militärische Präsenz in Polen in den vergangenen Wochen mit nun 9000 Soldaten mehr als verdoppelt.
US-Vizepräsidentin Kamala Harris will in der kommenden Woche nach Polen und Rumänien reisen. Wie das Weiße Haus mitteilte, will sie dort über den russischen Einmarsch in der Ukraine und die Auswirkungen des Krieges auf die Region sprechen. "Die Treffen der Vizepräsidentin werden sich auch darauf konzentrieren, wie die Vereinigten Staaten die Nachbarn der Ukraine bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen, die vor der Gewalt fliehen, weiter unterstützen können", sagte die stellvertretende Pressesprecherin von Harris, Sabrina Singh.
"Washington Post": "Dem ukrainischen Volk beistehen"
Die "Washington Post" forderte in einem Kommentar die Aufnahme aus der Ukraine Geflüchteter in den USA. Zur großen Zahl an Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine in andere Länder flüchten, hieß es: "Das Weiße Haus war schnell dabei, humanitäre und einige militärische Hilfe zu leisten und Sanktionen gegen Russland zu verhängen, um Wladimir Putin die Möglichkeit zu nehmen, diesen Krieg problemlos zu finanzieren. Aber es gibt noch etwas anderes, das das Weiße Haus bald tun muss: die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine anbieten."
Laut "Washington Post" wäre es abgesehen vom Geld ein starkes Signal an Polen, Ungarn und andere Nationen, die Flüchtlinge aufnehmen, "wenn Biden ankündigte, dass die USA auch Zehntausende von Ukrainern aufnehmen würden". Der US-Präsident könne dies allein anweisen, ohne den Kongress. "Dies ist eine weitere Möglichkeit, dem tapferen und fleißigen ukrainischen Volk und unseren Verbündeten in der ganzen Welt beizustehen", schrieb die "Washington Post".