Russische Offensive auf Ukraine Dutzende Angriffe aus allen Richtungen
Die Ukraine berichtet von mehr als 30 verschiedenen Angriffen russischer Einheiten aus allen Richtungen. Mindestens 40 Ukrainer sollen dabei getötet worden sein. Kämpfe gibt es auch um das ehemalige AKW in Tschernobyl.
Die Ukraine hat russische Angriffe aus verschiedenen Richtungen gemeldet. Bis zum Mittag habe Russland mehr als 30 Attacken mit Flugzeugen, Artillerie und Marschflugkörpern "auf ukrainische zivile und militärische Infrastruktur" ausgeübt, teilte der ukrainische Generalstab mit. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Angaben nicht.
Luftalarm in Kiew
Die Hauptstadt Kiew löste wegen des Angriffs Luftalarm aus und verhängte eine nächtliche Ausgangssperre. Die Stadtverwaltung rief alle Bürger auf, sich möglichst in Bunkern in Sicherheit zu bringen. Vier Metro-Stationen seien als Luftschutzbunker ausgewiesen worden. Die U-Bahn solle weiter in Betrieb bleiben, sagte Bürgermeister Vitali Klitschko. Kiew hat etwa 2,8 Millionen Einwohner.
Auch in der Nähe von Kiew kam es laut ukrainischen Angaben zu Gefechten, etwa am Militärflugplatz Hostomel. Dort seien mindestens drei russische Hubschrauber abgeschossen worden, hieß es. Es könnte sein, dass russische Fallschirmspringer über Kiew abspringen und versuchen in das Regierungsviertel einzudringen.
Kämpfe in Tschernobyl
Die Kämpfe erstrecken sich nach Angaben der Regierung auch auf das 70 Kilometer entfernte Gebiet des zerstörten Atomreaktors von Tschernobyl. Die russischen Angreifer wollten die Atomanlage einnehmen, erklärte Staatschef Wolodymyr Selenskyj. Die dort stationierten Soldaten der ukrainischen Nationalgarde leisteten "hartnäckigen Widerstand".
Im Gebiet Tschernihiw, das im Nordwesten an Belarus grenzt, sei der Feind gestoppt worden, erklärte der Generalstab weiter. "Heftige Kämpfe gehen in Richtung Charkiw weiter." Die Großstadt Charkiw liegt im Osten unweit der russischen Grenze. Mariupol am Asowschen Meer sei "unter volle Kontrolle zurückgebracht worden". Mit Blick auf den Süden des Landes teilte das Militär mit: "In Cherson ist die Situation schwierig." Die russische Armee starte auch Offensiven von der 2014 annektierten ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim in Richtung Cherson und Melitopol.
Dutzende Tote und Kämpfe überall im Land
Die ukrainische Grenzpolizei sprach sogar von über 200 Angriffen. Es gebe Kämpfe nahezu überall im Land. Nach ukrainischen Angaben sind bisher mehr als 40 ukrainische Soldaten und etwa zehn Zivilisten getötet worden. Zuvor hatte bereits NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg von russischen Angriffen aus verschiedenen Richtungen mit Luft- und Raketenangriffen, Bodentruppen und Spezialkräften gesprochen. Offenbar greift Russland in einer Art "Zangeformation" an, mit Attacken von der südlichen Krim, von russischem Gebiet im Osten und von belarusischen Staatsgebiet ausgehend, wo Zehntausende russische Truppen stationiert sind.
Moskau: Dutzende Militärstellungen zerstört
Russland hat nach eigener Darstellung Dutzende Stellungen des ukrainischen Militärs angegriffen. Es seien 74 Objekte der Bodeninfrastruktur außer Gefecht gesetzt worden, sagte der Sprecher des Moskauer Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, der Agentur Interfax zufolge. Darunter seien elf Flugplätze, drei Kommandoposten und ein Marinestützpunkt gewesen. Zudem seien 18 Radarstationen der Boden-Luft-Raketenabwehrsysteme S-300 und Buk-M1 zerstört worden. Nach Moskauer Angaben wurden auch mindestens ein Kampfhubschrauber und mehrere Kampfdrohnen abgeschossen. Die Ukraine berichtet ebenfalls, mehrere russische Helikopter und Flugzeuge abgeschossen zu haben.
Angriff im Morgengrauen - auf Putins Befehl
Laut der Nachrichtenagentur dpa melden die pro-russischen Separatisten die Einnahme von zwei Kleinstädten. Es handele sich dabei um Stanyzja Luhanska und um Schtschastja. Dabei seien auch Kämpfer aus ihren Reihen getötet worden. Es gebe Tote und Verletzte unter den Streitkräften, aber auch unter der Zivilbevölkerung, sagte der Chef der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin, dem russischen Staatsfernsehen.
Die russische Armee hatte am frühen Morgen damit begonnen, die Ukraine militärisch anzugreifen. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte die Militäraktion autorisiert. Der Kremlchef warnte andere Staaten davor, sich Russland in den Weg zu stellen. Das würde Konsequenzen nach sich ziehen, wie sie sie noch nicht erlebt hätten.
Selenskyj fordert mehr Unterstützung
Der ukrainische Präsident Selenskyj rief den Kriegszustand aus. Er appellierte an die Bürger des Landes, nicht in Panik zu verfallen. "Wir sind auf alles vorbereitet, wir werden siegen", sagte er in einer auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft. Er forderte sofortige Sanktionen gegen Moskau. Er brauche zudem Verteidigungshilfe sowie finanzielle Unterstützung, schrieb er nach Telefonaten unter anderem mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf Twitter. Selenskyj forderte eine weltweite "Anti-Putin-Koalition".
NATO verstärkt Truppen im Osten
Die NATO will angesichts des russischen Angriffs ihre Luft-, Land-, und Seestreitkräfte im Osten verstärken. Alle Maßnahmen seien und blieben aber "präventiv, verhältnismäßig und nicht eskalierend", hieß es in einer am Mittag verabschiedeten Erklärung der 30 Bündnisstaaten. Generalsekretär Stoltenberg sagte, die NATO werde die Ukraine nicht mit eigenen Truppen unterstützen. Das Bündnis war kurzfristig zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen.