Truppen aus dem Asowstal-Werk Russland will ukrainische Soldaten verhören
Die ersten ukrainischen Soldaten wurden aus dem Asowstal-Werk in Mariupol herausgebracht - doch was nun? Während die Ukraine auf einen Gefangenenaustausch drängt, will Russland offenbar mögliche Verbrechen der Streitkräfte untersuchen.
Nach wochenlangem Ausharren konnten mehr als 260 ukrainische Soldaten das Asowstal-Werk in der Hafenstadt Mariupol verlassen - und befinden sich nun in russischer Gefangenschaft. Die Ukraine setzt auf einen Austausch gegen russische Soldaten, stößt damit in Moskau aber offenbar auf taube Ohren.
Nach Angaben der Ukraine wurden inzwischen mindestens 264 eigene Kämpfer aus dem Industriekomplex herausgeholt. Unter ihnen sollen sich auch etwa 50 Schwerverletzte befinden. Auch am Dienstag wurden ukrainische Soldaten mit sieben Bussen von dem Gelände weggebracht, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.
Viele Soldaten offenbar in Gefangenenlager gebracht
Die Soldaten hatten über Wochen in dem Stahlwerk und dem dazugehörigen, weitläufigen Bunkersystem ausgeharrt. Wiederholt hatten sie in Videobotschaften um Hilfe gebeten und auf die immer schlechter werdende Versorgungslage aufmerksam gemacht.
Zunächst wurden Zivilisten, die sich ebenfalls auf dem Gelände des Stahlwerks befunden hatten, in Sicherheit gebracht. Nun folgten die ersten ukrainischen Soldaten. Der Großteil der Kämpfer soll in das Dorf Oleniwka bei Donezk gebracht worden sein. Die Region wird von prorussischen Separatisten kontrolliert.
Dort befindet sich ein Gefangenenlager, das ukrainische Offizielle in der Vergangenheit auch als Konzentrationslager bezeichnet hatten, wie ARD-Korrespondentin Rebecca Barth berichtete. In russischen Medien hieß es zudem, die verletzten Soldaten würden in das Kreiskrankenhaus in Nowoasowsk gebracht und medizinisch versorgt.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Ukrainische gegen russische Soldaten?
Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar hofft, sich mit Russland auf einen Gefangenaustausch einigen zu können: die mehr als 260 Kämpfer gegen russische Soldaten.
Dank des Einsatzes der eigenen Soldaten habe man wichtige Zeit gewonnen, um Reserven zu bilden, Kräfte neu zu gruppieren und Hilfe von Partnern zu erhalten. "Die Verteidiger von Mariupol haben alle von den Befehlshabern zugewiesenen Aufgaben vollständig erfüllt. Leider haben wir nicht die Möglichkeit, die Blockade von Asowstal militärisch zu lösen", sagte Maljar.
Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in einer Videobotschaft betont, dass die Ukraine "ihre Helden" lebend brauche. Ihm zufolge sei es das Ergebnis von gegenseitigen Verhandlungen, dass nun die ersten Kämpfer das Asowstal-Werk hätten verlassen können.
Allerdings sollen sich noch immer Hunderte Kämpfer auf dem Gelände befinden. Die genaue Zahl lässt der ukrainische Generalstab offen. Er warnte jedoch, dass die russischen Truppen die Blockade des Stahlwerks weiterhin aufrecht erhalten würden.
Soldaten sollen verhört werden
Das künftige Schicksal der ukrainischen Soldaten ist unklar. Ein russisches Ermittlungskomitee kündigte nun an, die Streitkräfte verhören zu wollen - als Teil einer Untersuchung zu angeblichen "Verbrechen des ukrainischen Regimes gegen die Zivilbevölkerung" im industriell geprägten Osten des Landes. Ermittler würden "die Nationalisten" identifizieren und überprüfen, ob sie an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt gewesen seien.
"Kriegsverbrecher vor Gericht bringen"
In einer Plenarsitzung hatte sich der Chef des russischen Parlaments, Wjatscheslaw Wolodin, jedoch klar gegen einen "generellen Gefangenenaustausch" ausgesprochen. Er bezeichnete die ukrainischen Kämpfer als "Nazi-Verbrecher" - diese unterlägen keinem Austausch, sagte der Duma-Chef. "Das sind Kriegsverbrecher, und wir müssen alles dafür tun, sie vor Gericht zu bringen."
Zuvor hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow betont, dass Russland immer bereit sei, "humanitäre Probleme zu lösen" - so wie es geschehen sei, "als dank unseres Militärs und seiner Initiativen vor Ort Hunderte von Verwundeten aus Asowstal herausgebracht wurden". Genau das seien die Prinzipien, die dem Handeln der russischen Armee zugrunde lägen.