EU nach Twitter-Übernahme Machtlos gegen Musks Pläne?
Die EU reagiert gelassen auf Musks Twitter-Übernahme und mahnt an: Für Digitalkonzerne gälten in Europa weiter die gleichen Regeln. Dabei lässt sie ein anderes wichtiges Ziel des Deals außer Acht.
Worum geht es Elon Musk wirklich mit seiner Übernahme von Twitter? Jener Social-Media-Plattform, die doch vor allem bei Leuten aus der Politik oder aus dem Journalismus so beliebt ist - weil man da in wenigen Zeilen seine Meinung sagen und mehr oder weniger intensiv ins Diskutieren kommen kann. Musk wolle Twitter zu einem wirklich offenen Forum machen, frei von jeder Zensur, sagen die einen; Musk möchte vor allem Twitters Datenflut für sich haben und auf diese Weise weiter an seiner globalen Basis für künstliche Intelligenz arbeiten, sagen die anderen.
Richtig ist: KI-Systeme kommen ohne personalisierte Daten nicht aus. Und Musk selbst war es, der vor dem Kauf davon gesprochen hatte, dass man damit auf Dauer alle realen Menschen digital erfassen und identifizieren könne, wenn der Deal ein Erfolg werde. Er wurde es - aus Sicht des EU-Parlamentariers Patrick Breyer allerdings ein gefährlicher.
Experte rät zu Plattformwechsel
Breyer von der Piratenpartei gilt als ausgewiesener Digital-Experte. Er warnt davor, dass die eigene Identität, die Privatanschrift und private Telefonnummern bei Twitter künftig nicht mehr in sicheren Händen seien. Dass man bei der Plattform bisher auch anonym unterwegs sein konnte, sei ein erheblicher Vorteil vor allem für Whistleblower, Minderheiten oder Regimekriter gewesen. Wenn Musk nun einen Identifizierungszwang einführe, sei es damit vorbei. Der Rat des Digitalpolitikers deshalb: Twitter verlassen und zu anderen Diensten wechseln, bei denen die Anonymität gewahrt bleibe.
Der Twitter-Kauf des Tesla-Chefs jedenfalls wird in Brüssel aufmerksam zur Kenntnis genommen. Auch deshalb, weil Musk angekündigt hat, Twitter angeblich zu einem durch und durch offenen Forum für alle Meinungen zu machen. Musk nennt das demokratisch. Doch Kritiker befürchten, dass Twitter dann eben auch antidemokratische Meinungen abbilden wird, Hass und Hetze, Fake News - also all das, was die Europäische Union mit ihren gerade erst beschlossenen Gesetzen für große digitale Plattformen künftig am liebsten weg haben will aus dem Netz.
Dabei geht es um ein verbindliches Regelwerk für große Digitalkonzerne - sogenannte Gatekeeper mit einem Jahresumsatz von mindestens 7,5 Milliarden Euro und monatlich mehr als 45 Millionen Nutzerinnen und Nutzern in der EU. Es sind Regeln, die einerseits den Wettbewerb auf den Digitalmärkten sichern, damit auch kleinere Unternehmen aus Europa gegen die Internetriesen aus den USA bestehen können; und die andererseits für die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundprinzipien im Netz sorgen sollen.
EU-Digitalgesetze gelten weiter
In Brüssel nennt man sie Digital Markets Act und Digital Services Act. Der ist erst Ende vergangener Woche endgültig auf den Weg gebracht worden. Nach nur anderthalbjähriger Vorbereitung, was in Brüssel für ein Gesetzespaket von solchem Umfang als rasant schnell gilt und zeigt, wie ernst die EU die Sache nimmt.
Die Regelungen haben es in sich. Große Internet-Plattformen müssen nämlich künftig einmal im Jahr eine eigene Risikoabschätzung mit Blick auf die Gefahren für die Meinungsfreiheit oder für die Grundrechte vorlegen, die von ihren Angeboten ausgehen könnten. Sie müssen die Risiken minimieren und gefährliche Inhalte entfernen - und all das wird von der EU-Kommission selbst kontrolliert. Damit Europas Steuerzahler nicht auf den Kosten dafür sitzen bleiben, zahlen die Internetkonzerne künftig eine Aufsichtsgebühr.
In Brüssel geht man davon aus, dass all das auch für Twitter und Musk gilt. Und deshalb gibt man sich auch einigermaßen gelassen, was diese Übernahme angeht. Für EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton jedenfalls, der die Regulierung von Online-Riesen zusammen mit dem Europäischen Parlament entscheidend voran gebracht hat, besteht kein Grund zur Besorgnis: Jedes Unternehmen müsse in der Europäischen Union die Regeln einhalten, die gelten, sagt er - so einfach sei das. Wer das nicht mache, dem drohten Strafen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes - das könnten in dem Falle einige hundert Millionen sein.
KI nutzen - mit allen Mitteln
Ob Twitter sich in Musks Besitz künftig an die europäischen Online-Spielregeln halten wird, ist aber nur eine Frage. Mindestens genauso wichtig ist die Sache mit der künstlichen Intelligenz, um die es Elon Musk vor allem gehen dürfte: Klar ist, dass sie als Schlüsseltechnik der Zukunft gilt, mit der bahnbrechende Entwicklungen auf den Weg gebracht werden könnten - etwa in der Medizin oder in der industriellen Produktion. Andererseits aber wird KI, davon sind jedenfalls viele überzeugt, den Menschen als Entscheider und Gestalter dieser Welt zunehmend unwichtiger machen.
So oder so: KI wird kommen. Und während Musk mit dem Twitter-Deal offenbar einen weiteren Schritt dahin unternimmt, passiert in der EU vergleichsweise wenig. Immerhin wird gerade ein europaweites Regelwerk zur künstlichen Intelligenz vorbereitet, kommende Woche will das Europaparlament darüber beraten.
Man betone in Europa zu stark Datenschutz und Risiken, sagt dazu der CDU-Europaabgeodnete Axel Voss - obwohl KI so viele Chance biete. Musk will sie mit allen Mitteln nutzen. Europa wird ihn dabei bremsen müssen, damit er sich an europäische Regeln hält. Aufhalten lassen wird er sich davon aber sicher nicht.