Fall Rubiales Spaniens dramatischer Fußballsommer
Der Fall Rubiales in Spanien nimmt eine eskalierende Wendung nach der anderen: Ein unerwünschter Kuss wird zum gesellschaftlichen Aufreger, dann zum Politikum - und bald zum WM-Bewerbungsaus?
Wer eine Serie schreibt, die möglichst lange und erfolgreich laufen soll, braucht Cliffhanger. Das sind Momente am Ende jeder Folge, die Zuschauer emotional berühren und das unbändige Verlangen erzeugen, beim nächsten Mal wieder einzuschalten - unerwartete, dramatische Wendungen. Der spanische Fußball bietet derzeit genau das.
Hauptfigur ist der Präsident Luis Rubiales, ein ehemaliger Zweitliga-Kicker, der es an die Spitze des Verbandes geschafft hat. Er hat dem spanischen Fußball viel Geld verschafft, etwa durch die Verlegung des spanischen Super-Cups nach Saudi-Arabien. Rubiales brachte Spanien auch in eine aussichtsreiche Position, die Fußball-WM der Männer 2030 gemeinsam mit Portugal und Marokko auszurichten.
Immer mächtiger wurde er. Als die spanische Frauen-Nationalelf im vergangenen Jahr den Verband auf Machtmissbrauch durch den Trainer Jorge Vilda aufmerksam machte, solidarisierte sich Rubiales mit dem Trainer. Und das, obwohl 15 Spielerinnen erklärten, nicht mehr unter diesem Coach spielen zu wollen.
Obszöne Gesten auf der Tribüne
Der Trainer von Rubiales Gnaden wurde schließlich mit einem neu formierten Team Weltmeister. Der Präsident begreift das wohl auch als seinen persönlichen Sieg. Eine Spielerin, Jenni Hermoso, küsst er während der Siegerehrung ohne ihre Zustimmung auf den Mund und erklärt später, die anschließende Hochzeit würde mit der ganzen Mannschaft auf Ibiza gefeiert. Unbehagen über den Übergriff macht sich in Spanien breit.
Im Radio beschimpft Rubiales Kritiker anschließend als "Dummköpfe". Die Stimmung wird hitziger. Dann taucht ein Video auf: Wie sich Rubiales nach dem WM-Sieg der Frauen auf der Ehrentribüne triumphierend in den Schritt greift. Wenige Meter entfernt steht Königin Letizia. Cliffhanger - denn jetzt ist der Fall politisch.
Aus der spanischen mitte-links-Regierung heißt es, Rubiales sei nicht mehr tragbar. Ein Vorgesetzter dürfe eine Spielerin nicht auf den Mund küssen. Und da die sagt, es sei ihr nicht recht gewesen, ist die Sache justiziabel: In Spanien gibt es das "Solo sí es sí"- Gesetz. Berührungen und Küsse darf es zwischen Menschen nur geben, wenn beide es wollen - "sí", also "ja" dazu sagen.
Wettern gegen "falschen Feminismus"
Der spanische Fußballverband will die Situation entschärfen, verbreitet eine Erklärung, in der Jenni Hermoso zitiert wird, vom tollen Verhältnis zu ihrem "Präsi" und einem freundschaftlichen Kuss spricht. Noch während die WM-Siegerinnen in Madrid feiern, stellt sich heraus, diese Worte stammen nicht von ihr. Cliffhanger: Der Druck steigt.
Der Fußballverband lädt zu einer außerordentlichen Versammlung. Aus Rubiales Umfeld wird das Gerücht gestreut, er trete zurück. Stattdessen spricht er von einem Kulturkampf in Spanien, von "falschem Feminismus" und ruft mehrmals: "Ich werde nicht zurücktreten."
Die Trainer der spanischen Frauen und Männer-Nationalmannschaft applaudieren. Die amtierende Regierung kündigt an, das spanische Sportverwaltungsgericht prüfen zu lassen, ob sie Rubiales die weitere Ausübung des Amtes verbieten kann. Spaniens Fußball-Nationalspielerinnen - gerade Weltmeisterinnen geworden - erklären, vorerst keine Länderspiele mehr zu bestreiten. Cliffhanger.
Rubiales Mutter tritt in Hungerstreik
Auch Assistenztrainer der Frauen-Elf kündigen nun an, unter dieser Verbandsführung nicht mehr arbeiten zu wollen: Sie seien gedrängt worden, zur außerordentlichen Versammlung zu erscheinen, um Solidarität mit dem Präsidenten zu demonstrieren. Spätestens jetzt wird klar: es gibt ein größeres Problem im spanischen Fußballverband. Noch ehe das spanische Gericht sich der Sache Rubiales annimmt, verbietet die FIFA dem spanischen Fußball-Chef für 90 Tage die Amtsführung.
Nun schwant dem Land: die sicher geglaubte Ausrichtung der Fußball-WM 2030 wankt. Luis Rubiales Mutter Angeles Béjar meldet sich nun zu Wort: Ihrem Sohn geschehe Unrecht, die Spielerin solle endlich die Wahrheit sagen. Es sei ein einvernehmlicher Kuss gewesen. Die Mutter postiert sich in einer Kirche und beginnt einen Hungerstreik. Der nächste Cliffhanger.
Alle rechnen nun mit einem schnellen Signal des Sportgerichts, wie sie Rubiales Verhalten und den Kuss einordnen. Doch das Gericht will mehr Zeit. Vielleicht liegt es auch an einem neuerlichen Video aus der Kabine, aufgenommen kurz nach dem WM-Sieg: Es muss nicht, kann aber so interpretiert werden, dass Rubiales Jenni Hermoso gefragt hat, ob er sie küssen dürfe. Fortsetzung folgt.